Das Leben genießen
Jede Nacht hinterlässt er seine Spur. Eine endlose Linie im Sand, strichgerade, vier Meter breit, 100 Meter lang, eine präzise Kehrtwende, wieder eine Linie, geometrisch parallel zur ersten, dann eine neue Wende und so fort. Vom Sandsaum, wo der Atlantik züngelt, bis zur Promenade, auf der die schwarz-weißen Wellen des Pflasters plätschern. Kilometerweit, Paket neben Paket, liegen sie wie Mayazeichen auf dem Strand. Geharkt von einem Riesen, der mit Sturheit Ordnung zeichnet in die Große Unordnung. Nie ist er zu sehen. Es heißt, er sitze des Nachts singend auf einem roten Traktor, nenne sich Xico und trage die orange Weste der prefeitura.
Rio de Janeiro im Südwinter, fünf Uhr am Sonntagmorgen. Mit einem gleißenden Licht wie von Messers Schneide erhellt die Sonne über dem Zuckerhut die Sandsichel der Copacabana. Sie blitzt auf das Quecksilber des Atlantiks, die Wohntürme an der Avenida Atlântica, und in Sekunden raubt der Strahl die Farben, die in der Dämmerung noch zu sehen waren: das Rosa und Violett der gigantischen Granitparabeln, die der Stadt den Weg ins Hinterland zu verwehren scheinen, die tausend Grüns des Tijuca-Dschungels, der sich verlorenes Terrain zurückzuholen scheint, das Rost der Favelas, die die Felsenkegel zersetzen, das Grau des Erlösers auf dem Corcovado, der wie resignierend die Arme erhebt. Ein greller Schein, der die Erinnerung an das Gestern löscht.