Ehre das Mutterherz solange es schlägt, denn wenn es gestorben ist, ist es zu spät.
Jetzt stehe ich hier. Es ist still, So still, dass ich denke ich könnte die Stille hören – ich weiß, dass das absurd ist. Aber zurzeit könnte ich mir alles vorstellen, egal wie absurd. Vor uns steht ein großes Auto. Ein Mietwagen, obwohl Papa schon fast Pleite ist, aber er hätte sich bis in die tiefsten Ruinen getrieben um das hier zu bezahlen. Ich wollte eigentlich überhaupt nicht mitkommen. Warum auch ? Niemand hatte mir was gesagt. Kein Sterbenswörtchen, alle haben so getan als sei alles gut. Dabei hätte es schlimmer gar nicht mehr kommen können. Ich hatte mich mit Papa gestritten, denn er hätte mir davon erzählen können, wenigstens mir. Ich wäre nachts nicht so oft weggeblieben. Ich wäre Zu Hause gewesen die ganze Zeit. Ich hätte die letzte Zeit komplett verändert. Aber dazu ist es jetzt zu spät.
Alles fing an diesem einen Morgen an…
*
Ich wachte auf, weil die Sonne meine Nase kitzelte. Ich hatte mich schon seit Wochen auf diesen Tag gefreut. Meine kleine Schwester Laura und ich, haben draußen im Garten in Schlafsäcken geschlafen. Ich setzte mich auf und ließ mir die Sonne auf das Gesicht scheinen und lächelte ihr entgegen. Niemand hätte ahnen können, dass so ein schöner Tag, der schlimmste im eigenen Leben wird.
Mama kam aus dem Haus und lächelte uns entgegen.
» Guten Morgen, Hayley. Na, Habt ihr gut geschlafen? «
Laura, schaute sie verschlafen an.
» Mama ! Ja ich hab super geschlafen. «
» Das freut mich. « Sie kam näher und setze sich zu in das Gras und musterte uns als sähen wir aus wie gruselige kleiner Monster. Man hörte sie laut und deutlich atmen, Sie atmete unregelmäßig und schwer. Sie sah übermüdet, aber trotzdem wunderschön aus. Ihre Brustlangen glatten blonden Haare wirkten stumpf und trotzdem so seidig. Ihr fiel andauernd eine Strähne ihres Ponys ins Gesicht. Sie versuchte sie immer hinters Ohr zu streichen, dabei war sie viel zu kurz um zu halten.
Sie hatte tiefe hellblaue Augen, sie sahen immer aus wie der klare Himmel über dem Meer. Aber in der letzten Zeit waren sie nicht mehr so klar und hell, sie sahen mehr aus als wäre ein grauer dunkler Storm über den sonst so schönen Himmel gezogen.
Sie nahm meine Hand und schaute mir tief in die Augen. Ihre Hand war dünn und knochig, dass es schon gruselig war.
» Hayley, du hast noch diese Kinderaugen. Ich kann einfach nicht glauben, dass du Morgen schon 14 wirst « Ihre Augen flackerten und ich sah das ihr Tränen aufstiegen. Hätte ich doch nur dort schon Bescheid gewusst. Aber mir ist es nie aufgefallen, ich war zu sehr mit mir und meinem eigenen Leben beschäftigt.
Laura setzte sich auf und sagte:
» Mama, kannst du es auch nicht glauben, dass ich bald zehn werde? «
Dabei setzte sie ein schiefes Grinsen auf.
Wir lachten. Wir lachten so wie lange nicht mehr und nie wieder.
*
Ich spüre ein Rucken. Mein Papa winkt mich zum Auto. Bevor ich einsteigen kann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn. Laura sitzt schon drin. Sie schaut mich an. Sie sieht aus, als hätte sie noch nie das Tageslicht gesehen und wäre noch nie unter Sonne gekommen. Sie ist so blass, das man denken könnte sie fällt jeden Moment um. Sie weint. Ganz auf einmal fängt sie an zu weinen. Ich will sie in den Arm nehmen aber sie stößt mich weg. Sie schluchzt und kann kaum noch atmen. Papa will sie trösten, aber sie schreit ihn an.
» Geh weg! «
Sie steigt aus dem Auto und setzt sich auf eine Wiese, gleich neben dem Parkplatz. Oma Lisa hechtet ihr hinterher. Sie ist eine liebe Oma. Wie aus einem Märchen. Wenn man bei ihr ist wird man von Kopf bis Fuß verwöhnt. Aber zurzeit ist ihre Laune im Keller. Kein Wunder. Sie dreht den Kopf zu mir und schaut mich hilflos an. Aber ich drehe den Kopf weg und widme mich wieder meinen Gedanken die gerade mal eine Woche her sind. An diesen Tag und die darauf folgende Nacht.
*
Nachdem Laura und ich die Schlafsäcke weggeräumt hatten, versuchte ich zu überlegen wie ich heute Nacht am besten gestalten könnte, Immerhin wurde ich 14, Ich finde das ist ein besonderer Schritt in Richtung erwachsen werden. Mein Freund Tom und meine beste Freundin Marie, wollten kommen. Vielleicht noch ein paar andere Freunde. Das würde ich später planen.
Ich setzte mich in mein Zimmer auf mein Bett und wählte Maries Nummer.
Es piept, und nach gefühlten 10 Minuten nahm sie ab.
» Hayley ! Gut das du anrufst. Ich wollte noch mit dir reden «
»Worum geht es denn? «
»Naja, weißt du ich ...ähh.. ich kann heute nicht. Sorry ! «
» Was ?! Aber Marie ich werde 14! Wieso kannst du denn nicht?«
Ich war so entsetzt das ich gar nicht mehr wusste was ich sagen sollte.
» Weißt du, meine Mutter sie ist krank und ich kann sie einfach nicht zu Hause alleine lassen«
»Ich glaub es einfach nicht, du lässt meine Geburtstagsfeier wegen deiner Mutter sausen ?«
Wütend legte ich auf.
Eine halbe Stunde später piepste mein Handy. Es war eine Sms von Marie:
Hey Maus,
Sei nicht böse. Du wolltest doch heute eh nur rein feiern und Morgen Nachmittag komme ich, versprochen. Aber meine Mum hat die Grippe und sie kriegt es zu Hause einfach nicht hin. Sorry !
Love u , mach dir schönen Abend mit Tom ;-)
Ich war trotzdem sauer, aber das war ja nicht mehr zu ändern. Ich wollte auf gute Laune umschwenken, denn meine Stirn legt sich immer in Falten wenn ich wütend werde und wenn Tom mich sieht will ich nicht wie ein faltiges Häufchen Elend aussehen. Außerdem, gab es ja an diesem Tag mehr als genug Gründe glücklich und gut gelaunt zu sein. Dachte ich jedenfalls…
*
» Mensch Hayley ! Würdest du mir vielleicht auch mal antworten? «
Papas Worte reißen mich so aus meinen Gedanken, dass ich erst einmal überlegen muss wo ich bin. Er sah mich vorwurfsvoll an.
»Was? Was hast du denn gefragt? «
» Ob du vielleicht mal versuchen könntest Laura ins Auto zu holen! «
Seine Stimme schwankt. Er versucht ernst zu klingen hört sich aber an als würde er gleich weinen. Ich nehme ihn in den Arm.
» Ja, das mache ich Papa. Entschuldige «
Er drückt mich fest an sich.
» Danke Hayley, es tut mir leid wenn ich in den letzten Tagen vielleicht öfters gemeckert habe, aber es ist nicht leicht. Das ist es für uns alle nicht «
Ich löse mich aus seinem Griff und versuche zu lächeln.
» Ich weiß, Papa. Das weiß ich doch.«
Ich steige aus dem riesigen Auto und geh mit langsamen Schritten auf Laura zu.
Sie sitzt da im Gras, die Arme um die angewinkelten Beine und den Kopf im Schoss verborgen. Sie weint nicht mehr. Als ich mich neben sie setze schaut sie mich an, ihre Augen sind rot und ihre Haut glitzert von den vielen Tränen.
Dann fängt sie an zu reden
»Weißt du was, Hayley? «
» Nein, was denn ? «
» Mir ist eben mein letzter Zahn raus gefallen. « Sie streckt mir ihre geschlossene Hand entgegen und öffnet sie langsam. Zum Vorschein kommt ein Zahn. Ein kleiner mit langer Wurzel. Laura schaut mich an ihr Pupillen sind klein.
» Weißt du was das schlimme daran ist? Mama hat es nicht mitbekommen, und sie wird es nie erfahren. Sie wird so viel verpassen «
Kurz danach sitzen wir im Auto. Und erst jetzt realisiere ich, dass meine Mutter tot ist. Das ich sie nie wieder sehen werde. Und sie wird nicht wissen wie unsere Leben weitergehen. Ich schaue aus dem Fenster aber die Gedanken von letztem Freitag schieben sich vor die Bilder die ich draußen beobachte.
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*
Als ich an jenem Vormittag ratlos die Sachen in meinem Kleiderschrank begutachtete, kam meine Mutter in mein Zimmer und setzte sich auf mein Bett und sah mich an. Sie sah mich einfach nur an und sagte nichts.
Ich sah sie an.
» Was ist? «
» Ich würde gerne mit dir reden« Ihre Augen sahen mich flehend an.
» Oh Mutti, du weißt das es heute ganz schlecht ist « Sie schaute enttäuscht nach unten, seufzte laut und ging lautlos aus dem Zimmer.
Könnte ich die Zeit zurückspulen, ich hätte sie in den Arm genommen und mir angehört was sie mir sagen wollte. Ich weiß bis jetzt noch nicht was es war. Ich denke sie wollte mir sagen, dass sie so krank war. Und das sie schon lange eine Perücke trug, weil sie keine Haare mehr hatte durch die Chemotherapien. Sie wollte mir bestimmt sagen sie nicht mehr arbeitete, weil Papa genug Geld nach Hause bringt wie sie immer sagte, sondern weil sie es nicht mehr konnte. Sie hätte mir gesagt, dass sie sie den Kampf gegen den Krebs verloren hat und bald sterben wird. Aber das hat sie nicht, weil ich es nicht hören wollte, Ich fühle mich schuldig und grausam.
Nachdem meine Mutter das Zimmer verlassen hatte, stellte ich Musik an. Volle Lautstärke. Meine Rihanna CD, die ich zu Ostern bekommen hatte. Meine Mutter Kam wieder rein und bat mich leiser zu machen. Ich hörte ihr nicht zu und stellte aus Trotz noch lauter. Sie meinte das ich was für die schule tun sollte. Wir stritten uns, wir stritten uns sehr heftig. Bis ich das sagte :
» Ich hasse dich. Du bist die schlimmste Mutter der Welt. «
Mir wird kalt wenn ich daran denke, das ich das gesagt hab.
Sie schaute mich nur noch an. Sie sah so unglaublich verletzt aus, als wäre das letzte Stück Hoffnung von ihr abgefallen. In ihren Augen sammelten sich Tränen.
» Ich hab dich lieb, Hayley « sagte sie, und ging raus.
Ich wollte grade meine Musik wieder laut drehen, da hörte ich es laut rumsen und ein Geräusch das sich nach würgen anhörte.
Ich ging in den Flur. Meine Mutter lag auf dem Boden ihr Bein verdreht und sie erbrach sich. Dann fing sie an zu weinen, Sie weinte so bitter wie ich noch nie einen Menschen weinen sehen habe. Ich rief Papa, er holte eine Decke, Mama und Laura saßen auf der Couch und Laura erzählte ihr etwas über ihren neuen Schwarm. Papa machte den Flur sauber. Ich war in meinem Zimmer und hörte Musik, diesmal mit Kopfhörern. Ich dachte mir nichts bei diesem Vorfall, ich dachte es wäre die frühe Frühlingshitze gewesen. Papa wusste es besser. Deshalb verkroch er sich danach im Bad und begann zu weinen so laut das ich es hörte. Und mir Gedanken dachte was für eine sensible Familie ich hab. Ich wusste ja nicht was los war..
*
Das laute Hupen und beschimpfen eines anderen Autofahrers reißen mich abrupt aus meinen Gedanken. Meine Oma, die vorne sitzt zittert und schluchzt und erzählt irgendetwas davon, wie es wäre wenn wir uns alle eine Auszeit gönnen und wegfliegen. Meine Vater legt eine Scharfe Bremsung hin und zeit Oma Lisa einen Vogel
» Sonst ist bei dir auch noch alles klar, oder Mutter? Ich habe grade meinen letzten Penny ausgegeben um das alles zu bezahlen und wir müssen demnächst jeden Cent zweimal umdrehen um über die Runden zu kommen und ganz davon abgesehen ist meine Frau grade gestorben, denkst du da fliege ich noch schön gemütlich weg?«
Oma Lisa guckt ihn verdattert an, sagt aber nichts weiter.
Ich gucke zu Laura sie schläft, obwohl wir grade mal fünf Minuten fahren. Weinen macht wohl müde. Ich lege meinen Kopf an die Scheibe. Sie ist heiß von der Sonne. Dann schließe ich die Augen.
*
Als es an der Tür klingelte bin ich sofort hingerannt und hab Tom angesprungen.
Er sah super aus. Seine dunkeln braunen Augen und Haare. Seine leuchtend weißen Zähne und sein Duft! Einfach zum dahin schmelzen. Er ist der Mädchenschwarm auf unserer Schule und ich Hab ihn bekommen, Ich die kleine schüchterne Hayley mit den blonden wuseligen Locken und denn dünnen Beinen. Eigentlich sehe ich ja nur aus wie ein Strohalm mit Haaren dran.
Tom setzt sich an den Küchentisch und meine Familie begrüßt ihn freundlich.
Nach einem Glas Sekt ging ich mit ihm rauf in mein Zimmer und erzählte ihm, dass Marie heute nicht kommen kann. Was ihn nicht sonderlich zu stören schien. Im Gegenteil es sah so als freute er sich mit mir alleine zu sein. Doch eigentlich war der Abend langweilig. Wir saßen nur da, haben Filme geguckt und ein bisschen geknutscht. Ich dachte es würde gar nichts mehr passieren. Aber wie gesagt das dachte ich..
Um 22 Uhr höre ich einen hellen Schrei von unten der sich stark nach Laura anhörte, Ich wollte grade gucken gehen was passiert ist aber Tom kam mir zuvor
» Bleib sitzen, ich gehe gucken «
Nach 15 Minuten war Tom immer noch nicht zurück und ich bekam ein mulmiges Gefühl. Als ich unten ankam lief mir der kalte Schauer über den Rücken.
Ein Krankenwagen stand vor unserer Tür und sie trugen meine Mutter hinein. Ich stürzte nach draußen.
Tom sah mich wehleidig an
» Ich wollte dich grade holen«
Wir fuhren alle mit, mit dem Krankenwagen.
» Papa, was ist passiert? « Ich war so durcheinander das ich das Blut in meinen Ohren rauschen hören konnte.
» Weißt du Hayley, ich kann dir das jetzt nicht sagen «
Ich merke wie die Wut in mir aufstieg und ich fang an hysterisch zu schreien.
» Was heißt hier du kannst das nicht sagen? Papa sag mir was los ist «
Aber bevor er mir antworten konnte hielt der Krankenwagen an und Liege samt Mama wurde in Windeseile aus dem Krankenwagen gehievt.
Wir rannten den flinken Sanitätern hinterher. Ich spürte wie mir die Tränen kamen zumal ich immer noch nicht wusste was passiert war.
» Notfall, Notfall« brüllten die Sanitäter
» Wir haben hier eine Krebskranke, schnell wir brauchen einen Atzt. Verdammt noch mal wo sind die Ätzte «
Ich blieb stehen. Hatte der Sanitäter krebskranke gesagt? Alles was passierte lief wie im Film neben mir ab, ich stellte mir tausend Fragen.
Sah wie Papa und Laura den Ärzten und Sanitätern hinterher rannten.
Ich spürte eine warme Hand in meinem Nacken. Es war Tom.
Dann brach ich zusammen und weinte.
*
» Alles aussteigen! «
Wir sind anscheinend am Friedhof angekommen. Papa und Laura gehen voran, sie hält seine Hand. Oma Lisa dackelt hinterher. Ich gehe hinten ich will Niemanden sehen, ich will sich in meinen Gedanke bleiben.
*
Ich wachte in einem Krankenbett auf. Eine Schwester grinste mich breit an.
» Na kleines? Alles wieder in Butter ? «
Ich schubste sie zur Seite und rannte aus dem Zimmer.
Ich versuchte mich zu orientieren. Ich sah Papa am Ende des Ganges und stürzte ihm in die Arme. Dann begann ich ihn anzuschreien, meine Worte verlorene sich in meinen Tränen.
Ich stürzte in das Zimmer, Mama lag da sie war wach. Sie redet mit Laura, die ihr mit Tränen in den Augen zusah. Dann drehte sie sich um und rannte aus dem Zimmer. Ich setzte sich neben sie auf das Bett.
Ich flüsterte denn ich wagte nicht laut zu reden
» Wieso hast du mir nie etwas gesagt? «
» Hayley, ich wollte dich nicht belasten « Sie versuchte zu lächeln aber ihr Mundwinkel erschlafften wieder.
» Versprich mir, dass du gut auf dich aufpasst, sodass ich dich beobachten kann von oben. Ich bin stolz auf dich «
» Mama ? du wirst doch nicht etwa ..«
» Doch Hayley. Ich hab dich so lieb. Und jetzt sieh auf die Uhr «
Ich sah auf mein Handy. 0 Uhr.
» Du bist jetzt 14, du bist so ein tolles Mädchen «
In dem Moment kam Tom rein und setzte sich zu uns. . Und ein paar Stunden später ist sie gestorben, an meinem Geburtstag.
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