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Ja   nein   

N°1

„Lass mich in Ruhe! Ich hasse dich!“ schrie sie mir ins Gesicht.
Danach lief ich fort.
Eine weitere schlaflose Nacht.
Der Mond stand hell am Himmel, der an diesem Tag fast leer war. Nur ein, zwei Sterne blitzten ab und zu mal auf.
Es regnete schon seit Stunden. Der Regen gab mir ein seltsam beruhigendes Gefühl.
Das gleichmäßige prasseln der Tropfen auf meiner Scheibe hielt mich davon ab, irgendetwas zu zerstören.
Diese Wut auf mich selbst. Was hatte ich falsch gemacht?
Doch fiel mir nichts ein.
Ein weiterer verstörter Blick auf die Uhr. '02:52' stand dort in den üblichen roten Zahlen.
Die Nacht schien kein Ende zu haben. Ich spürte, wie sich eine heiße Träne langsam den Weg von meinem rechten Auge über meine Wange Richtung Mundwinkel suchte.
Dann fiel sie auf die Tischplatte. Sie verging, so wie alles in meinem Leben in letzter Zeit.
Das Mädchen, dass ich liebte war aus unerklärlichem Grund sauer auf mich, mein Kater war vor ein paar Tagen gestorben und um alles noch schlimmer zu machen, sah es bei meinen Eltern in letzter Zeit auch nicht so gut aus.
Fast jeden Abend, wenn ich nach Hause kam, hörte ich, wie sie sich in der Küche stritten.
Daher mied ich seit einigen Wochen die untere Etage unsres Hauses. Manchmal zögerte ich vor der Küchentür, ob ich nicht doch irgendetwas tun sollte, aber dann zerschlugen sich die Gedanken sofort wieder, als ich mich daran erinnerte, dass ich selber genug Probleme hatte, mit denen ich mich in letzter Zeit rumzuschlagen hatte.
Ich lief die Treppen hoch und sperrte mich in meinem Zimmer ein. Zumindest dort hatte ich Zeitweise das Gefühl, sicher und geborgen zu sein.
Da saß ich nun.
Ich hatte in den vergangenen Nächten genug Zeit zum Nachdenken gehabt.
Jeden Abend sah ich die Bilder vor mir – Vanessa, wie sie mich anbrüllte, meine  Eltern, die sich ununterbrochen stritten und mein Kater, der mir in den armen lag und langsam seine Seele von seinem Körper löste. Manchmal hatte ich das Verlangen, es meinem Kater gleich zu tun und mich einfach von dieser Welt zu lösen.
Ich legte mich in mein Bett und versuchte, ein wenig zu schlafen.
Doch immer wenn ich die Augen schloss, strömten mir die schrecklichen Bilder entgegen.
Sie waren wie eine Flutwelle, die alles mit sich riss, woran ich hing.
Ich öffnete die Augen.
'02:56'.
Die Zeit streifte langsam an mir vorbei.
Ab und zu dümpelte ich irgendwo zwischen der realen und meiner Traumwelt. Bis mich die Bilder der Tragödien meines Lebens unsanft wach rüttelten.
So verbrachte ich den Rest der Nacht.
Irgendwo. Weder richtig hier, noch völlig abwesend. Als ich am nächsten Morgen aus meinem Bett kroch, fühlte ich mich mies. Mieser als sonst.
Ich sperrte meine Zimmertür auf und – wie sollte es anders sein – sofort schallten mir die   gegenseitigen Beschimpfungen meiner Eltern entgegen.
Wie lange sollte es noch so weitergehen?
Manchmal wünschte ich mir einfach, sie würden sich trennen, anstatt die ganze Nachbarschaft wach zu halten.
Ich schlich ins Bad. In diesem Augenblick wollte ich einfach nur alleine sein.
Niemand, der mich anbrüllte, mich mit Fragen durchlöcherte, oder etwas anderes von mir wollte. Einfach nur allein sein.
Als ich in den Spiegel schaute, blickte mich eine Kreatur an, die scheußlicher nicht sein könnte. Augenringe, mindestens zwei Finger breit, fahle Lippen und blasse Haut.
Erst in diesem Moment merkte ich, wie sehr mich das alles mitnahm.
Mich überkam eine Welle von Übelkeit.
Schwankend tastete ich mich zur Kloschüssel und beugte mich vornüber.
Nichts.
Das war im Moment alles.
Alles, was ich fühlte, alles, was mich kümmerte und alles, was ich dachte.
Ich schlurfte die Treppen runter, öffnete die Küchentür und – brach zusammen.
Ich weiß nicht, welcher Faktor mich dazu brachte, aber ich verkraftete das alles nicht mehr.
Ich war noch bei Sinnen, fühlte aber meinen Körper nicht mehr.
Starb ich?
Nein, es konnte nicht so sein.
Ich sah, wie sich meine Eltern besorgt über mich beugten.
Es war ruhig.
Ich spürte eine Hand auf meiner Stirn.
Dann brach mein Vater die Stille, die ich komischerweise sehr genoss und meinte trocken: 'Wir müssen ihn ins Bett bringen. Heute kann er nicht in die Schule, geschweige denn arbeiten.'
'Meinst du, es ist etwas ernstes?'
'Ich glaube nicht...'
Dann packten mich zwei starke Arme, hoben mich an und trugen mich.
Ich wusste nicht genau, wohin sie mich trugen.
Mir ging es immer schlechter.
Mein Blickfeld verengte sich, ich hörte kaum noch etwas.
Dann ließ ich los. Zumindest für einen Moment.
Alles um mich herum verschwand.
Es fühlte sich gut an. Ich war frei. Keine Sorgen mehr, kein ständiges Brüllen in den Ohren und scheinbar auch keine Probleme mehr.
Für nur einen Moment.
Dann kehrte mein Umfeld wieder zurück.
Bilder schlugen auf mich ein, die Stimmen meiner Eltern dröhnten in meinen Ohren.
Meine Ängste und Sorgen erdrückten mich fast.
Ich holte einmal tief Luft.
Ich schlug die Augen auf, konnte sie aber nur wenige Momente halten, bevor sie wieder zufielen.
Ich versuchte es erneut.
Ich lag in meinem Bett.
Über mir, die Bildertapete eines ergrauten New Yorks.
Das war alles, was ich sah, bevor ich völlig abschaltete.
Meine Augen fielen wieder zu, mein Atem wurde flacher und gleichmäßiger und – ich schlief ein.
Das erste mal seit anderthalb Wochen schlief ich tief und fest. Ich versank irgendwo in meiner Traumwelt.
Als ich aufwachte, fühlte ich mich ein wenig besser.
Zwar waren meine Probleme noch lange nicht verschwunden, aber zumindest fühlte ich keine Übelkeit, Kopf- oder sonstige Schmerzen mehr.
Ich blickte benommen auf die Uhr.
'21:39'.
Das konnte nicht wahr sein.
Hatte ich den ganzen Tag verschlafen?
Ich tastete nach meinem Handy, dass ich immer unter meinem Kopfkissen liegen hatte.
13 Neue Nachrichten...
Ich sah sie mir an – soweit man sich SMS'n ansehen kann, wenn man sich fühlt wie gerade von den Toten auferstanden.
Das übliche.
Nichts besonderes.
Bis auf... Moment! Da war doch eine SMS, die nicht von meinen gewöhnlichen Freunden war.
Mein Herz machte einen kleinen Satz, der aber in einem Kilometertiefen Sturz endete, als ich mich erinnerte, was in den vergangenen Tagen vorgefallen war.
Ich spürte, wie mein Körper sich weiter zusammenzog.
Da lag ich. Zusammengekauert, leichenblass, und mit einer einzelnen Träne im Gesicht.
Ich suchte den Verlauf der SMS'n durch, doch fand – Nichts.
Soweit war es also mit mir schon.
Ich machte mir selber falsche Hoffnungen.
Sie konnte es nicht gewesen sein.
Ich legte mein Handy wieder weg und drehte mich auf die andere Seite.
Die Sonne war bereits untergegangen – und meine Hoffnungen mit ihr.
Der Mond stieg immer weiter am Himmel und ich – war weiterhin alleine.
Mein Bett fühlte sich leer und kalt an.
Da waren sie wieder – die Bilder, die mich mittlerweile jedes Mal erneut überwältigten und mich beherrschten.
Mittlerweile wusste ich, dass nichts dagegen half, also ließ ich sie auf mich einprasseln und mich übermannen.
Ich kauerte mich noch weiter zusammen.
Da war auch die Übelkeit wieder.
Meine Eltern hatten mir für den Fall der Fälle einen Eimer mit ein wenig Wasser neben mein Bett gestellt.
Bisher hatte ich noch nicht Gebrauch davon gemacht.
Aber dieses Mal wurde die Übelkeit stärker.
Ich lehnte mich also über die Bettkante und traf gerade noch den Eimer.
Nachdem ich leerer und der Eimer voller war, fühlte ich mich wieder besser.
Ich fing an zu dösen.
Ab und zu schreckte ich wieder auf, was ich aber schon fast gewöhnt war.
So dümpelte ich schon wieder durch die Nacht.

Etwas neben mir schepperte.
Sofort war ich hellwach.
Ich saß kerzengerade in meinem Bett.
Neben mir meine Mutter mit einem Tablett.
Ich sah sie fragend an.
'Ich hab dir Essen gemacht.' hörte ich sie sagen.
'Geht es dir besser? Du hast uns ja vorgestern ganz schön Angst gemacht. Wenn was ist, ich habe immer ein offenes Ohr für dich und das weißt du auch. Du kannst jederzeit zu mir kommen.'
STOP!
Vorgestern?
Ich bin doch gestern zusammengebrochen.
Oder etwa nicht?
Ich sah auf mein Handy.
Do. 12 August 2010.
Was?!
Da konnte etwas nicht stimmen.
Ich wollte gerade meine Mutter fragen, wie lange ich im Bett gelegen habe, als ich aufblickte und – wieder einmal - niemanden sah.
Nur das Tablett stand neben meinem Bett.
Meine Mutter hatte sich mal wieder verdrückt.
Ich dachte nicht mehr viel darüber nach.
Auf einmal bemerkte ich, dass ich einen Riesenhunger hatte und so machte ich mich über das Tablett her.
Ich setzte mich auf die Bettkante.
Langsam drückte ich mich ab – und stand.
Etwas wackelig noch, aber ich stand.
Ich wankte Richtung Badezimmer.
Die Bilder der vergangenen Tage flitzten vor meinem inneren Auge vorbei.
Der Blick in den Spiegel, die Übelkeitsattacke, mein Totalabsturz.
Mir ging es wieder zunehmend schlechter.
Ich merkte, dass mir meine Probleme wieder zu schaffen machten.
Ich entschloss mich, einen Fuß vor die Tür zu setzen und frische Luft zu schnappen.
Das wäre das erste Mal seit... 3 Wochen...
So lange.
Ich zog mir etwas dunkles, unauffälliges an.
Das letzte, was ich in diesem Moment gebraucht hätte wäre unnötiger Trubel.
Draußen verfinsterte sich der Himmel.
Ich ließ mich davon nicht beirren.
Entschlossen stieg ich die Treppen herab, vorbei an dem Lärm meiner Eltern, der durch die Küchentür drang, vorbei an allen Bildern, durch die Haustür und – atmete tief ein.
Kalte Luft strömte in meine Lunge.
Für einen Moment befreite sie meinen Kopf von allen Problemen.
Ich zog mir die Kapuze meiner Jacke tiefer ins Gesicht und ging los.
Ich wusste nicht, wohin.
Ich ging einfach geradeaus ohne einmal aufzublicken.
Auf einmal hörte ich hinter mir eine vertraute Stimme.
Als ich mich umdrehte, blickte ich in das Gesicht von Ray, meinem besten Kumpel.
'Hey. Wieder alles klar?'
Ich schüttelte den Kopf.
'Du warst die letzten Tage gar nicht zu erreichen. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.'
Ich reagierte nicht.
Ray packte mich am Arm.
'Komm schon. Ist es wegen Vanessa?'
Nichts.
'Da draußen gibt es genug Mädchen, die viel besser zu dir als Vanessa. Jetz´ vergiss sie doch einfach.'
Das war zu viel.
Ich riss mich los und rannte.
Ich rannte fort, Hauptsache weit weg von allen anderen.
Das musste ich mir nicht anhören.
Es fing an zu regnen.
Als ich eine kurze Pause machte und aufblickte, stand ich auf einer Brücke.
Der Himmel war finster.
Die Straßenlaternen erleuchteten den Fleck auf dem ich stand.
Unter mir Wasser.
Ich dachte nach.
Ich merkte, dass ich anfing, leise zu weinen.
Zumindest sah niemand im Regen meine Tränen.
Ich überlegte, ob ich nicht einfach springen und den Rest der Welt hinter mir lassen sollte.
Ich stellte mich auf einen Pfosten der Brückenwand.
Da stand ich nun.
Als ich hinabblickte, sah ich die Wogen des Wassers unter mir vorbeifließen.
Sie zogen an mir vorbei – genau wie die Geschehnisse der letzten Wochen.
Ich musste mich entscheiden.
Zwischen den Qualen des Lebens und dem Tod.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und – sprang.


Sofort spürte ich wieder den festen Boden unter meinen Füßen.
Ich drehte mich um und ging.
Immer wieder die Gedanken.
Was wäre passiert, wenn ich wirklich gesprungen wäre?
Wie hätten alle anderen reagiert?
Was wären meine letzten Gedanken gewesen? Nichts?
Hätte ich wohlmöglich überlebt?
Versunken in diesen Gedanken streifte ich durch die Stadt.
Auf einmal riss mich etwas grob in die Gegenwart.
Mein Handy.
Ich kramte es aus der Tasche und ging ran.
'Hallo. Geht es dir gut? Ich hab mir Sorgen um dich gemacht...' drang es mir aus dem Hörer entgegen.
Im ersten Moment konnte ich die Stimme niemandem zuordnen.
Aber dann...
Nein. Es konnte nicht sein. Oder?
'Hallo? Sag doch was. Ich bin's, Vanessa.'
Als ich den Namen hörte, zuckte ich unwillkürlich zusammen.
'Ich habe in letzter Zeit viel Nachgedacht.'
'Da bist du nicht die einzige...'
'...Und... Ich wollte nur sagen...'
Dann fing sie an zu schluchzen.
'Es tut mir so unendlich Leid, was ich dir ins Gesicht gebrüllt habe. … Ich hatte 'ne schwere Zeit, und... hatte mich einfach nicht unter Kontrolle. Ich hätte das niemals sagen dürfen. Die Wahrheit ist...'
Ich schluckte.
'Die Wahrheit ist...... Ich Liebe dich!'
Das war zu viel. Ich fing ebenfalls an zu weinen.
'Ich Liebe dich auch.' schluchzte ich in den Hörer.
Mir kam es vor, als ob die Tränen mich erlösten.
Sie flossen aus meinem Körper und nahmen dabei alles mit, was mir in den letzten Wochen zu schaffen gemacht hatte.
Ich war einfach... glücklich.
In diesem Augenblick wollte ich einfach nur noch zu Vanessa, sie in den Arm nehmen und küssen.
Ich rannte im Regen los.
Nach einer Viertelstunde stand ich bei ihr vor der Haustür. Klitschnass, aber das war mir in diesem Augenblick völlig egal.
Ich wollte sie einfach nur sehen.
Ich klingelte an der Haustür.
Eine Frau, so ca. 37 Jahre öffnete die Tür.
'Ist Vanessa zu Hause?'
'Nein, sie ist eben los, um einen Jungen zu treffen. Sie meinte, es sei wichtig.'
'Wissen sie, wo sie hin wollte?'
'Ich glaube, sie wollte Richtung Stadtpark.'
'Okay, vielen Dank. Ich bin übrigens Lars. Ihre Tochter wollte zu mir.'
'Viel Glück!' Rief sie mir hinterher.
Ich lief durch den Regen Richtung Stadtpark.
Da stand sie.
Wunderschön, mit ihren langen, blonden Haaren und ihren etwas verträumten Augen.
'Vanessa!' Rief ich.
Sie drehte sich um und – lief auf mich zu.
Ich nahm sie in den Arm.
'Ich will die nie wieder loslassen.' Säuselte sie mir ins Ohr.
'Ich Liebe dich.'

Alternative Ending. N°1

...
Als ich hinabblickte, sah ich die Wogen des Wassers unter mir vorbeifließen.
Sie zogen an mir vorbei – genau wie die Geschehnisse der letzten Wochen.
Ich musste mich entscheiden.
Zwischen den Qualen des Lebens und dem Tod.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und – sprang.


Das Wasser raste auf mich zu.
Was wäre passiert, wenn ich anders gehandelt hätte?
Wie wäre es weitergegangen?
Im nächsten Moment prallte ich auf die harte Wasseroberfläche.
Meine Organe zogen sich kurz und schmerzhaft zusammen.
Ich bekam keine Luft mehr.
Dann war ich komplett unter Wasser.
Ich hielt die Restluft meiner Lungen an.
Hier unten war alles für einen Moment ganz friedlich. Niemand schrie mich an, ich hatte keine Sorgen mehr und empfand nichts mehr.
Weder für Vanessa, noch für jemand anderen aus meiner Umgebung.
Aber nur für einen Moment.
Dann wurde ich sofort von einer Stromschnelle weggerissen.
Ich versuchte, nicht allzu hart auf die Steine am Boden zu schlagen.
Auch wenn ich wusste, dass das die Qualen meines Lebens nur noch verlängerte.
Auf einmal stiegen Luftblasen aus meiner Hosentasche auf.
Mein Handy war noch nicht ganz zerstört worden.
Ich kramte es aus der Tasche und sah auf das Display.
Das was ich sah, konnte ich nicht glauben.
Es war Vanessa. Sie rief mich an.
Dann merkte ich, dass mir die Luft ausging.
Ich schöpfte noch ein wenig Hoffnung.
Ich versuchte hektisch, an die Öberfläche zu schwimmen um mit ihr telefonieren zu können.
Ich bekam keine Luft mehr.
Ich wusste, dass alles vorbei war.
Meine Seele löste sich von meinem Körper – genau wie es mein Kater getan hatte.
Dann setzte mein Herz aus.

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