Leicht beschwuppst lief ich den Straßenrand runter, ich wollte in den Wald und wusste absolut nicht, wo er war. Also ging ich wiedermal völlig unorganisiert und orientierungslos durch ein Kaff namens Xiasahal.
Mein Name ist Kelly, ich fühle mich oft allein' und fliehe gerade vor der Einsamkeit oder auch nicht. Ich will in den Wald, will ein Abenteuer bestreiten, wo doch niemand außer mir selbst dabei ist. Ich hab' zwar 'ne Familie, aber was soll das schon? Ich habe mir immer Freunde gewünscht, mit denen ich geile Sachen machen kann. Aufregendes erleben. Ich will zu einer Gruppe dazugehören. Mit Jungs. Denn was ist schon das Leben ohne Swaaaag, Party, die erste, zweite, dritte, 30'te Liebe?
Nun da bin ich! Die schwarzhaarige, gepiercte, sechzehnjährige mit den langen dünnen Beinen. Ich bin den Leuten schon immer aufgefallen, aber eher unangenehm. Laut, lache nicht besonders schön, ich nerve einfach jeden. Aber was solls. Ich muss mich durchkämpfen. Nach einer Zeit Schule mache ich heute mal auf krank. Oh! Was los ist? Ich sehe gerade einen schmalen Weg, vielleicht fängt da der endlose Wald an. Dort, wo es Einhörner gibt und der Himmel rosa ist! Ihr merkt schon, ich bin eine Träumerin, lebe in meiner eigenen Welt und so schnell werde ich wohl auch nicht mehr rauskommen, denn tatsächlich komme ich langsam in den Wald hinein. Der Wind fängt leicht an zu wehen und die Ahornblätter wirbeln im Wind. Langsam wird mir kalt, doch ich hab ja noch meinen Pulli. Ich streife mir den Pulli langsam über den Kopf und atme den Duft ein, der vom Pullover ausgeht. Es ist der Geruch meines Vaters. Er ist tot, seit dem letztem Jahr habe ich ihn nicht mehr gesehen, doch ich denke jeden Tag an ihn. Ich weiß immernoch nicht, mit wem ich jetzt über all' die Scheiße reden soll, die ich in der Schule angestellt habe. Meine Mutter würde sofort losschimpfen. Dad war anders. Er war auch, wie ich, eher ein Einzelgänger. Früher als ich ungefähr sieben war, las er mir immer in meinem Bett Geschichten über Einhörner und Trolle vor. Noch heute hab' ich das Bilderbuch, mit der auf-einem-Bein-tanzenden-Fee, die verhext war und deshalb nur noch ein Bein hatte. Es war schrecklich für mich als kleines Mädchen, die Geschichte über die Fee über mich ergehen zu lassen, ich weinte sogar los, doch Papa beruhigte mich. Er umarmte mich. Oh man, ich vermisse seine Umarmungen so.
Langsam setze ich mich auf den Boden, führe meinen Finger durch die Erde, so dass ich am Ende ein Kreuz in den Boden geritzt habe.
Das Kreuz steht für den Tod meines Vaters, den ich so vermisse, als würde ich gleich zusammenbrechen müssen. Doch ich tu es nicht, ich bin stark, sage ich mir. Immer wieder muss ich es mir sagen, sonst fange ich an zu weinen. Ich will keine Schwäche zeigen, wenn man Schwäche zeigt, wird man nur mehr verletzt.
Am nächsten Tag sitze ich im Bus, auf dem Weg zur Schule. Ich habe keine Hausaufgaben gemacht, aber das ist mir inzwischen nicht mehr wichtig. Ich tue kaum noch etwas für die Schule. Aber Dad möchte ich dafür nicht die Schuld geben. Die Lehrer meinen auch, nach einem Jahr sollte ich doch langsam wieder die angeforderten Schulleistungen erbringen. Herr Schludring ruft mich jede Stunde auf, an die Tafel zu kommen. Ich versage und jeder lacht. Jedenfalls kommt es mir so vor, ich stiehle mich immer schnell wieder an meinem Platz, in der letzten Reihe.
In der nächsten Stunde haben wir heute Chemie. Ein dunkelhäutiger Junge sitzt in dem Fach neben mir, er will irgendwie nicht fortweichen. Egal was ich tue, er haut nicht ab. Manchmal flüchte ich auf die Toiletten, wenn er mich zu viel zu stalken versucht. Doch da gibt's dann zu viel Getratsche. Einmal habe ich die Mädchen erwischt, wie sie über mich sprachen 'Ja, Kelly ist echt bescheuert. Ich mein, jeder stirbt doch. Ihr Dad hat halt früher gelost.'
Auf solche Lästereien reagiert man am besten nicht. Ich bin rausgerannt, doch an meiner Schulter hing natürlich wieder der dunkelhäutige Junge, namens Kyle. Kyle steht mir jetzt nur ein paar kleine Schritte von mir entfernt und sagt leicht heiser: 'Hey, alles gut? Du warst gestern nicht da und da dachte ich...' Ich falle ihm ins Wort, er nervt einfach. Immer stalkt er mich und jetzt macht er auf nett? 'Bevor du weiterredest, sag' ich dir mal was. Ich brauch deine Hilfe nicht, okay? Ich hab' es geschafft. Bis hierher, ich schaff den Rest der Schule auch noch und wenn nicht, who cares?' Er will etwas erwidern, ich merke es genau und deshalb zische ich nun schnellstmöglich ab. Ich lasse die letzte Schulstunde sausen und setze mich erstmal in das kleine Eiscafé, am Waldrand. Meine Mutter soll ja nicht bemerken, dass ich schon wieder die Schule geschwenzt habe. Ich wünschte, ich müsste nicht mehr schwenzen, doch diese Lästereien und dann auch noch Kyle. Das halt ich nicht aus! Früher galt ich zwar als komisch, zu dunkel gekleidet, doch wenigstens hatte ich Dad. Ich fühle mich langsam, als wäre ich verrückt. Vielleicht bin ich es ja auch? Ja, muss wohl so sein.
Noch ein Weilchen sitze ich hier und schlürfe meinen Milchshake, wo ich ein paar Schüler nach Hause auf dem Heimweg entdecke. Oh nein, Kyle ist auch dabei! Schnell schaue ich weg und mache mich etwas kleiner, was schlecht auf dem Stuhl geht. Puh, er hat mich nicht gesehen. Statt ihm sehe ich nun ein blasses Mädchen. Ich habe sie nie gesehen, doch sie sieht symphatisch aus. Ihre Augen hätte ich normalerweise gar nicht so genau erkennen können, von der Ferne, doch ihre glänzen golden. Ihr Haar ist hellrot, ansonsten trägt sie eine schwarze Jeans und ein blassfarbenes Oberteil. Nicht besonders auffallend, für normal-sterbliche, doch ich bin eine verrückt-sterbliche.
Damit ich sie nicht zu lange anstarre, schaue ich nun auf mein Becher, mit dem Milchshake. Ich erhasche einen Blick von ihr, zu mir. Doch dann geht sie weiter, mit dem Blick nach vorne gerichtet, so dass wir uns nicht mehr in die Augen blicken.
Nachdem ich sehe, dass mein Milchshake ganz leer ist, bezahle ich und laufe ziemlich langsam nach Hause. Mein Bruder liegt wiedermal voll bekifft auf dem Sofa und winkt mir freudig zu. Ich erwidere seinen Blick mehr oder weniger lächelnd, bis Mum auf mich zugerast kommt und mich gleich anbrüllt: 'Kelly! Sag mal, was fällt dir ein? Du hast nun eineinhalb Schultage geschwenzt, schämst du dich nicht? Und sieh dir deine Haare an, sehen ja nicht gerade gepflegt aus. Was sollen die Leute von uns denken in unserem kleinen Kaff tratschen die Leute doch so viel.'
. . .