Luftzeichen - die Welt der Vernunft
Die Luft ist von den vier astrologischen Elementen das am wenigsten Greifbare. Das Feuer kann verbrennen oder wärmen, das Wasser kann ertränken oder erfrischen, die Erde kann begraben oder Frucht tragen. Aber die Luft kann man nicht sehen. Wie der Geist - mit dem sich Jahrhunderte lang endlose philosophische Spekulationen befaßt haben -- ist die Luft flüchtig, bewegt, hauchartig, klar, durchsichtig und, so könnte man es ausdrücken, definitiv abstrakt.
Die Astrologie benützt eine Bildersprache, um gewisse Wahrheiten über das Leben und die Menschen auszudrücken. Die überlieferten Symbole, die zu jedem Zeichen und Element gehören, machen bestimmte Mitteilungen. Die drei Bilder für die drei Luftzeichen sind Zwillinge, Waage, Wassermann. Die Luft ist damit das einzige Element ohne ein Tier-Symbol. Bei ihnen gibt es kein animalisches Verhalten. Sie denken. Und darum haben sie die Chance, über Moral, Werte, Prinzipien, Konzepte, Systeme, richtiges und falsches Verhalten, soziale Regeln und alles andere nachzudenken, das sich als Methode verwenden läßt, Erfahrungen zu bewerten. Luft ist das menschlichste Element, der Stoff, der den Menschen befähigt hat, Gesellschaftsformen, Regeln für das Zusammenleben und ethische Gebote zu schaffen, zu schreiben, zu lernen und das riesige, ehrfurchteinflößende Gebiet von Segnungen und Flüchen zu überschauen, das der Begriff moderne Technologie zusammenfaßt. Die Luft hat den Menschen zum Herrn seines Planeten gemacht; wenigstens bildet er sich das ein.
Ein Luftzeichen ist vor allem vernünftig. Es wird nicht gleich hysterisch, wenn etwas nicht nach seinem Wunsch geht, weil es auf den Trick gekommen ist, auch andere als nur die eigenen Ansichten gelten zu lassen. Es ist objektiv genug, um zu erkennen, daß die Welt nicht nur aus ihm besteht, und darum auch bereit, Schwierigkeiten und Wechselfälle mit philosophischer Gelassenheit hinzunehmen. Selbst in der Wut wird das Luftzeichen noch versuchen, seinem Gegner Vernunft einzureden. Im übrigen ist es ein großer Verfechter ethischer Begriffe wie Anstand und Ehrlichkeit. Es ist im allgemeinen darauf eingestellt, die Gesellschaft als einen Organismus anzusehen, der zum Wohle aller seiner Mitglieder geschaffen ist, und wird darum freiwillig das bekämpfen, was es als selbstsüchtiges oder irrationales Verhalten empfindet. Von seinem Standpunkt aus ist so etwas einfach nicht fair. Und weil das Luftzeichen meist gebildet ist oder aber sich selbst gebildet hat, verfügt es über eine Vielzahl an Quellen, aus denen es seine Geisteshaltung und seine Oberzeugung schöpfen kann. Luftzeichen sind selten engstirnig. Auf anderen Gebieten mögen sie kleinkariert sein, aber ihr Geist ist immer neuen Ideen geöffnet.
Der Luftzeichen-Mensch wird wegen seiner steten Neigung zu Reflexionen kaum spontan reagieren. Er wird jede Situation sorgfältig prüfen und sich einfach in sie hineinfühlen. Er ist logisch und braucht Erklärungen und Namen für die Dinge, die in seinem Gesichtskreis auftauchen. Sie brauchen nicht greifbar, müssen aber erklärbar sein. Manchmal ist er so logisch, daß er einen zum Wahnsinn treibt, wenn er Erklärungen für Gefühle, Zustände, Stimmungen oder nicht rationale Intuitionen verlangt, die sich noch nach Millionen Jahren dem sorgfältigen Sezieren durch seinen analytischen Verstand entziehen werden. Er kann es soweit treiben, daß man das Gefühl bekommt, sich mit einer Kreuzung zwischen einem Computer und einem Eisschrank eingelassen zu haben. Selbstverständlich bringen solche ausgesuchten Tugenden ebenso ausgesuchte Probleme mit sich, und das größte Problem der Luftzeichen ist ihre scheinbare Kälte, wenn es um normale menschliche Beziehungen geht. Luftzeichen-Menschen können den Eindruck machen, überaus kalt zu sein. Keineswegs jedoch beim gesellschaftlichen Umgang. Kein anderes Element kann sich mit solcher Eleganz in einer Gruppe bewegen, ob es um Geplauder, um ein weites Feld interessanter Themen, um objektive und intelligente Gespräche, anregende Konversation oder die Duldsamkeit gegenüber den Standpunkten anderer geht. Aber die arktische Brise umweht einen manchmal, wenn man mit einem Luftzeichen-Menschen allein ist und darüber sprechen möchte, wie man sich fühlt, und er dann lange darüber nachdenkt, wie er sich fühlt, und des weiteren nachdenkt, wie der andere sich fühlt, und dann darüber, wie er denkt, daß er sich fühlt, und bis er das dann alles zu seiner Zufriedenheit überlegt, sortiert, benannt, analysiert, bewertet und den Raster darüber gelegt hat, der ihm die genaueste Differenzierung seiner Lebensideale liefert, ist- wie es so schön heißt- der Augenblick vorbei.
Luftzeichen streben als Gruppe mehr nach Objektivität als jede andere. Sie kommen ihr auch ziemlich nahe; sie haben die unschätzbare Gabe, Menschen, Ereignisse und Ideen außerhalb ihres persönlichen Erfahrungsbereichs für ebenso wertvoll, achtenswert und interessant zu halten wie die Dinge, die ihr persönliches Leben berühren. Tatsächlich messen sie oft dem großen Bild soviel mehr Gewicht bei, daß darüber das kleine Bild vor allem das persönlicher Beziehungen - weit in den verschwommenen Hintergrund rückt und andere sich am Ende merkwürdig unbedeutend vorkommen und sich ihrer eigenen Ansprüche schämen. Aber ohne das Element der Luft würden wir immer noch Mammuts mit Steinen erschlagen und hätten das Rad nie erfunden; die Fähigkeit, abstrakt zu denken, verdanken wir dem Element der Luft.
Eine gute Methode, Luftzeichen zu verstehen, ist die, zu beobachten, wie sie sich bemühen, Dinge zu erfassen. Sie fragen ständig «Warum?», ganz im Gegensatz zu anderen Zeichen, die entweder mit einem schlichten «Mir gefällt es» oder «Ich finde es gräßlich» reagieren und kühne Spekulationen über die Natur des Menschen und den Kosmos den Philosophen überlassen. Aber Luftzeichen sind, auch wenn sie keine gute Schulbildung haben, von Natur aus Philosophen. Auch auf prosaischer Ebene wird der Forscherdrang der Luftzeichen sofort aktiv und etwa nach den Geheimnissen der Wirtschaftsstruktur einer Firma, der Zusammensetzung eines Düngemittels, der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen oder den Spannungen, Problemen und Gesetzen innerhalb soziologischer Gruppen suchen. Ein Schlüsselwort der Luftzeichen ist Vernunft, ein anderes Logik und ein drittes, ebenso wichtiges, System. Die Luft ist das Element der Systeme. Alles muß nach einem zusammenhängenden Muster funktionieren. Wenn etwas nicht in das Muster paßt, erfindet der Luftzeichen-Typ entweder ein neues Muster - oft heißt es Philosophie, Psychologie oder Religion - oder er weigert sich, dieses Etwas als Realität anzuerkennen. Dinge, die nicht in Muster passen, sind für ein Luftzeichen überaus ärgerlich. Dazu gehören irrationale, unerklärbare Verhaltensformen, ungewohnte Gefühle und Stimmungen, die nicht ins Schema passen, ungewöhnlich charismatische oder seltsam magnetische Persönlichkeiten sowie Handlungen, die aus keinem offensichtlichen Grund heraus geschehen. Zu erwarten, daß es etwas akzeptiert, ohne es zu verstehen, ist hoffnungslos. Luftzeichen müssen alles verstehen. Ihr ganzes Weltbild beruht auf ihrer Fähigkeit, die Dinge zu verstehen. Nimmt man ihnen das, hat man ein sehr verängstigtes Einzelwesen vor sich.
Die Seite des Lebens, die sich am hartnäckigsten jeder Einordnung widersetzt, die sich Analysen und Strukturen. entzieht, die nicht verbal erklärt oder erfaßt werden kann, ist für die Luft sowohl das ärgerlichste als auch das faszinierendste, was es auf der Welt gibt: das Gefühl.
Tatsächlich haben Luftzeichen-Menschen davor oft solche Angst, daß sie sich besondere Mühe geben, zur passenden Zeit Gefühle zu zeigen, um ja nicht als herzlos und kalt verschrien zu werden. Das Gefühl, plötzlich im Kalten zu stehen, ist für alle, die mit Luft-Menschen zusammenleben, eine gemeinsame Erfahrung. Es ist, als wäre der Mensch in der einen Minute da und in der nächsten verschwunden, während sein Körper noch auf dem Stuhl sitzt und spricht. Wenn man unbeteiligt ist, ist das amüsant zu beobachten. Man kann direkt das Knipsen des Schalters hören, wenn das Luftzeichen seine Gefühlsreaktionen ins Unterbewußte schiebt und seine Gefühlsskala Null anzeigt. Für den liebenden Partner aber ist es äußerst verletzend; denn es ist so, als hätte jemand die Schnur durchgeschnitten und ihn mutterseelenallein gelassen. Die Luft unterdrückt Gefühle, mit denen sie nicht umgehen kann. Unterdrücken soll hier nicht beherrschen heißen. Es ist viel schlimmer. Sie werden einfach ausgelöscht. Das Luftzeichen ist sich ihrer gar nicht mehr bewußt, und man weiß nicht mehr, woran man ist. Zornig? Verletzt? Von der spiegelglatten Oberfläche ist das nicht mehr abzulesen, und durch dieses totale Nicht-Reagieren kommt man sich gemein, unvernünftig und zänkisch vor. Man sollte sich da nicht täuschen lassen, sondern erkennen, was das Luftzeichen selber nicht von sich weiß. Das Element der Luft maskiert so eine sehr gefühlsintensive Natur, die ihm höllische Angst einjagt. Wenn der Luftmensch Glück hat, wird er sich ihrer lange Zeit nicht bewußt werden. Vielleicht sollte ich sagen: Wenn er kein Glück hat. Denn je länger er seine Gefühlsreaktionen blockiert, desto schwerer wird die unvermeidliche Explosion werden. Und sie ist unvermeidlich. Was nicht ausgelebt ist, stirbt nicht. Psychische Energie verschwindet nicht, nur weil man etwas gegen sie hat. Sie geht einfach in den Untergrund und kommt in einer dunklen Nacht wieder an die Oberfläche, wenn man ihr gerade den Rücken zukehrt.
Unter der Leichtblütigkeit verbirgt sich viel Feinfühligkeit, eine wache Sensibilität, auf die es zurückgeht, daß der Luftmensch viel leichter verletzt und viel tiefer verwundet werden kann als alle anderen Zeichen. Sie ist auch der Grund, warum er zur Gefühlsabhängigkeit neigt und sich nach Zärtlichkeit und Zuneigung sehnt, aber um nichts in der Welt geradeheraus darum bitten kann. Wenn andere Elemente sich schwach, ängstlich, alleingelassen, eifersüchtig, verletzt, wütend, zurückgewiesen oder bis zum Wahnsinn verliebt fühlen, müssen sie das mitteilen. Die Erde kauft dann vielleicht Blumen, das Feuer wird ein überschwengliches Gedicht schreiben und das Wasser die Umwelt geradezu in Gefühlen ertränken. Aber die Luft? Die wird über das Wetter sprechen. Oder über die politische Lage oder Probleme der Gewerkschaft. Wer etwas von Körpersprache versteht, kann vielleicht die Erweiterung der Pupillen, die Bewegungen der Hände, den Tonfall erfassen und so die Übermittlung von Gefühlstatsachen aufnehmen, die das Luftzeichen selber, wenn es sich darüber im klaren wäre, in große Verlegenheit stürzen würde.
Wenn es um Gefühle geht, sind die auf dem Gebiet des Denkens und Verstehens allen anderen überlegenen Luftzeichen nichts als Kinder. Ihr ganzes Spektrum, sowohl auf der hellen als auf der dunklen Seite, entspricht der Natur eines Kindes. Einerseits ist ihre Naivität rührend und schön, und jede Gefühlserfahrung hat eine Tiefe und Bedeutung, die den oberflächlicheren Zeichen entgeht. Luftzeichen können wirklich verzaubern, weil sie so kindlich sind und Kinder immer noch auf Wunder reagieren. Sie können auch rührend vertrauensvoll sein, so sehr sogar, daß sich der andere immer von seiner besten Seite zeigen und sie anständig behandeln will. Der dem Luftzeichen angeborene Idealismus wirkt magnetisch; man möchte seinen Idealen nachkommen. Die Reinheit seiner Gefühle und das Fehlen weltlicher Gesinnung mag für es selbst hinderlich sein, aber sie sind ein seltenes und kostbares Geschenk.
Andererseits haben die Luftzeichen auch die Egozentrik, Abhängigkeit, das launische Wesen und die Überempfindlichkeit eines Kindes. Doch statt der typischen Wutanfälle von Kindern, die sich vernachlässigt fühlen, kommt es bei den Luftmenschen zu Eingeschnapptsein oder einer kühlen Atmosphäre. Das heißt: Du hast mich zurückgewiesen. Jetzt werde ich dich zurückweisen. Diese Art von Verdrossenheit und unbewußter Verstimmung ist schwer zu ertragen, wenn man sie sich nicht erklären kann.
Das Luftzeichen sagt die Wahrheit, wie es sie sieht. Es sagt immer die Wahrheit, und das ist einer seiner größten Fehler. Zum Beispiel, wenn es verkündet, daß man schrecklich aussieht oder daß es einen gerade heute nicht besonders mag. Aber das ist ihm nicht bewußt. Und wenn es herausbekommen will, was geschehen ist, heißt das, daß es sich der eigenen Gefühle bewußt werden muß. Und damit der Tatsache, daß man es verletzt, vernachlässigt oder eifersüchtig gemacht hat, oder was immer für Gefühle es empfindet, die es aber nie im Leben bereit sein wird einzugestehen.
Keine Frage, von allen Elementen ist dieses seltsame Wesen in Liebesdingen das schwierigste. Es sei denn, man besitzt die telepathische Begabung, Gefühle zu erkennen. Dann ist alles in Ordnung, denn es ist der Glanz und das Elend der Luftmenschen, daß sie, wenn sie ihr Herz verschenken, es für immer tun - wie Kinder. Dumm dabei ist nur, daß sie es verschenken können, ohne es zu wissen, und dann lösen sie die Bindung- oder der andere löst sie und entdecken diese Tatsache erst nach dreißig Jahren, wenn es zu spät ist. Hier zeigt sich eines der Paradoxe der menschlichen Natur im ganzen Umfang. Jedes Element des Tierkreises steht mit einem Lebensbereich in Verbindung und hat die besondere Gabe, sich in dieser Sphäre besonders auszudrucken. Jedes Element hat aber auch eine geheime Unterseite, die genau das Gegenteil ist, wie der Sog der hereinkommenden Flut. Dem Verhalten nach ist die Luft ein ziemlich frostiges Element. Aber wenn man die obere Schicht durchstößt und an dem ewigen Analysieren und rationalen Einordnen vorbeikommt, das ständig in diesem luftigen Verstand stattfindet, wird man entdecken, daß die Gefühle des Luftmenschen tief und stark sind, sogar so tief und stark, daß sie ihn ängstigen. Emotionell ist die Luft ein Kind. Die Natur der Gefühle eines Kindes ist naiv, intensiv und nicht sehr flexibel. In Gefühlsdingen ist die Luft nicht sonderlich verfeinert, obwohl man glauben könnte, daß bei all dem eleganten, gesellschaftlichen Charme und der Ungezwungenheit, mit der sie flirtet, plaudert und kluge Einwürfe macht, Bindungen für sie leicht sein sollten. Aber das stimmt nicht. In Wirklichkeit hat sie die Verwundbarkeit, Empfindlichkeit und die Sehnsüchte kindliehen Gefühlslebens in einem erwachsenen Körper. Luftzeichen wissen oft selbst nicht, wie tief ihre Gefühle reichen. Sie können den Partner daher zur Verzweiflung treiben, weil es ihnen in engen Bindungen an Wärme fehlt. Man bekommt das Gefühl, daß sie einen nicht anders behandeln als alle anderen Menschen: fair, mit höflichem Interesse, aber finit Abstand. Aber wenn man diese Seite ihrer Natur versteht und sie sanft soweit bringen kann, daß sie sich öffnen (Luftmenschen können, wie gelähmt werden, wenn sie mit heftig geäußerten emotionellen Forderungen konfrontiert werden), wird man mit der ganzen Zartheit und Tiefe dieser naiven, aber starken Liebe belohnt. Hinter dem kühlen Verstand verbirgt sich bei den Luftzeichen ein unheilbarer Romantiker, der unfähig ist, aus Diplomatie oder Berechnung Gefühle einzusetzen.