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Die Geschichte von Max Payne
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Die Kulturwissenschaften, innerhalb derer sich das Chemnitzer Forschungsprojekt ?Die Interaktion mit fiktionalen Hypertexten? ansiedelt, beschäftigen sich heute verstärkt mit den ideologischen Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Raum, Zeit und Körpern. Ausgehend von den Chemnitzer Forschungen zu kommerziellen Computerspielen möchte ich im folgenden geschlechtsspezifische Ansätze aus den Kulturwissenschaften auf Actionspiele anwenden. Beispielhaft vergleiche ich die spektakulären Realitätseffekte des 2001 erschienenen und in Deutschland sofort indizierten Computerspiels Max Payne mit den Effekten in Actionfilmen. Ich bin auf der Suche nach den Darstellungs- und Wahrnehmungsregeln in Actionfilmen und -spielen und nach Möglichkeiten, sie als Teil komplexer Identifikations- und Subjektivierungsprozesse zu lesen. Anschließend werde ich kurz auf die Ästhetik des Erhabenen und Schönen eingehen und damit geschlechtsspezifische Machtverhältnisse zur Sprache bringen. Mit Hilfe des Erhabenen werde ich abschließend einige Thesen zu Anordnungen von Raum, Zeit und Körpern im Action-Computerspielgenre vorbringen.
Am Anfang steht der Tod
Ein Polizist kehrt von seiner Arbeit heim. Doch dieser Tag ist nicht wie jeder andere. Im Haus gellen Schreie, der Mann hetzt nach oben. Dort findet er nur noch die Leichen seiner Frau und seines Kindes vor. Unbekannte haben sie getötet. Mit diesen zwei Morden beginnt das Actionspiel Max Payne, das in Deutschland kurz nach seinem Erscheinen 2001 wegen seiner zu realistischen Darstellung von Gewalt indiziert wurde. Bis der Titelheld Max Payne die Mörder seiner Familie findet, muß der Spieler mit ihm eine Vielzahl starker Gegner aus dem Weg räumen.
Alles alltäglich, normal, harmlos Scheinende täuscht in diesem Spiel. Sogar die Zwischenüberschriften sind reine Ironie: Der erste Teil von Max Payne heißt ?The American Dream? und erweist sich, wie die Titel von Teil zwei, ?A Cold Day in Hell? (Abb. 1), und Teil drei, ?A Bit Closer to Heaven?, als trügerisch. Die dargestellte Welt ist weit entfernt vom Ideal des amerikanischen Traums, im Spiel überwiegt der Sarkasmus des typischen hard-boiled-Krimis.
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Paynes Traum vom bürgerlichen Leben wird brutal durch das Trauma von Gewalt und Tod durchkreuzt. Schreckliche Albträume verfolgen den Helden seit dem Mord an seiner Familie, und die SpielerInnen müssen sie mit ihm durchleben. (Abb. 2) Die eigentliche Spielhandlung beginnt drei Jahre nach dem Verlust in einer Gegenwart, die von dieser Vergangenheit überschattet ist ? der Tod motiviert das Spiel, durch ihn ist der Protagonist gezeichnet, er treibt die Handlung voran. Das Töten bestimmt auch Verlauf und timing des Spiels, in dem sich die Spielerin mit dem inzwischen under cover arbeitenden und vereinsamten Max Payne auf die Suche nach den Killern eines Kontaktmannes begibt. Der Tod seines Kontaktmannes wird Payne zur Last gelegt ? jetzt wird er nicht nur von Verbrechern, sondern sogar von ehemaligen Kollegen gehetzt. Umgekehrt verfolgt er die wahren Mörder des Kontaktmannes und bringt die Geschichte zu einem zumindest vorläufigen Ende: Er findet die Mörder seiner Familie.
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Die Geschichte von Max Payne ist um die Hauptfigur zentriert, die dem Spiel auch den Namen gibt. Im Gegensatz zu anderen Spielen mit Action-Schwerpunkt wie Doom, Diablo oder Half-Life, welche den avatar nicht mit individuellen Charakterzügen und einer Geschichte ausstatten, ist Paynes Vorgeschichte ein integraler Bestandteil des Protagonisten und damit des Geschehens. Andere Eigenschaften des Spiels stehen ebenfalls in der narrativen Tradition von (actionbetonten) Schrift-, vor allem aber Filmtexten. So ist das Geschehen linear strukturiert, es existieren keine alternativen Lösungswege, so daß es sich nur für Perfektionisten lohnt, das Spiel mehrfach anzupacken. Die Handlung wird zum einen durch filmische Mittel, etwa spektakuläre Perspektiven und Schnitte vorangetrieben, zum andern durch sprachunterlegte Comicsequenzen geschildert. Körper und Waffen spielen die Hauptrollen in diesem Spiel und werden in den für das Actiongenre typischen spektakulären Bildern in Szene gesetzt. Ungewöhnlich für ein Actionspiel ist allerdings die Gebrochenheit der Hauptfigur: Payne trägt auch Züge eines Antihelden. (Abb. 3)
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Das Actiongenre: Film versus Computerspiel
Actionspiele haben, ähnlich wie Actionfilme, unter allen Computerspielgenres den schlechtesten Ruf. [1] Das Actiongenre gilt als formelhaft und damit gerade im Hinblick auf die Identifikationsprozesse als wenig komplex. Spektakuläre Effekte stehen im Vordergrund einer erzählerisch scheinbar wenig anspruchsvollen Handlung. Vor allem den Ballerspielen (shooters) wird vorgeworfen, zuviel Gewalt zu zeigen. Dieser Vorwurf wiegt umso schwerer, als Actionspiele als besonders 'realistisch' gelten: Je 'realistischer' die Darstellung von Gewalt, desto direkter wirkt sie nach Meinung der KritikerInnen auf die Spielenden ein.
Heiner Ullrich schreibt in ?Computerspiele als pädagogische Herausforderung?:
Unter den dramaturgischen Rollen, welche in den Computerspielen vorkommen, bevorzugen die Jungen die realistischen Rollen des Rennfahrers, Sportlers, Piloten und Kämpfers, während die Mädchen dagegen stärker die eher fiktiven, pahntasiereicheren Rollen präferieren. (74)
Den 'Realismus' in bezug auf die Spielerrolle des Actiongenres verknüpft Ullrich hier direkt mit dem Geschlecht des Spielers ? ein Aspekt, der im folgenden von Bedeutung ist.
Yvonne Tasker erklärt die besondere Popularität des Actionfilms im Hollywoodkino seit Ende des 20. Jahrhunderts durch die historische Unsicherheit hinsichtlich kultureller Körperkonzepte. (2) Sie argumentiert, daß die exzessive Darstellung gerade männlicher, weißer Körper Zeichen einer Krise männlicher und weißer Autorität seit, daß im Actionfilm männliche ? und damit zumindest implizit weibliche ? Identität immer wieder neu verhandelt werden müssen, um dieser Krise entgegenzuwirken.
Angesichts einer ähnlichen Autoritätskrise zu Anfang des 20. Jahrhunderts ging bereits in frühen Filmen der menschliche, speziell der männliche Körper in actionbetonten Darstellungen eine enge Verbindung mit Maschinen ein. Die neue Aufzeichnungs- und Darstellungstechnik des Films tat das ihre, um die Allianz zwischen Körper und Maschinen zu autorisieren. Heute interpretieren die Filmstudien den technisch optimierten filmischen Blick als eine Kontroll- und Regulierungsinstanz, die im Verbund mit anderen kulturellen Strategien nach wie vor dafür sorgen soll, daß sich Körper gemäß zeitspezifischer gesellschaftlicher Normen ? Zwei-Geschlechter-System, Heterosexualität ? ausrichten.
Körpergrenzen und -definitionen sind demnach nicht natürlicherweise gegeben, sondern zwangsläufig kulturell vermittelt und konstruiert. Die Wahrnehmung und Inszenierung intakter Körpergrenzen dient der selbstversichernden Setzung eines Außen und eines Innen, das wiederum den Körper als seine Behausung bezeichnet und sich damit sprachlich und psychisch eindeutig zu verorten sucht. Das Körper-Ich ist kulturell über Zeichensysteme, z. B. über die Sprache vermittelt und somit auch medienspezifisch angelegt. Die projizierte Oberfläche des Körper-Ich fungiert dabei als 'Haut' und als mediale Schnittstelle zwischen innen und außen, zwischen dem Ich und der symbolischen Ordnung.
Diese gesellschaftlichen Körpernormen lassen sich schon im frühen Film oft nur mit Hilfe von Technologien auch nur annähernd verwirklichen: Buster Keaton etwa macht als Protagonist von Spielfilmen immer eine Entwicklung durch, die zur Kontrolle über Maschinen- und Sozialtechnologien führt, wie Orvell betont. Nach Orvells Meinung durchläuft Keaton ?[a] metamorphosis of the self, and it is always from ineptitude to mastery.? (29) Filmtechnologie und die Kontrolle über Maschinen verleihen Keatons Charakter eine Macht, die dieser allein aufgrund seines eher schwächlichen Körpers nicht besäße und die ihn zwangsläufig zum Triumph und zum ersehnten Happy-end führt. Hier leisten die Maschinen mit Hilfe von Körperbildern das, was Technologien der sportlichen Ertüchtigung zur gleichen Zeit an männlichen Körpern vollbringen sollen: Sie stärken die Kontur und das Selbstbewußtsein eines männlichen Ichs, das sich immer wieder seiner selbst versichern muß.
Das Prinzip von Gefährdung und letztlicher Selbstbehauptung liegt vielen Erzählgenres zu Grunde, etwa dem Abenteuerroman oder dem Horrorfilm. Auslöser der Handlung ist meist eine Aggression gegen den Protagonisten. Sein Ziel ist es von nun an, das feindliche Andere zu verdrängen. Der weiße, männliche Protagonist schafft damit nicht nur einen zumindest vorübergehend gesäuberten Raum, sondern auch ein heroisches Selbst.
Die Verdrängung des Anderen gelingt jedoch selten vollständig, sie impliziert die Wiederkehr der feindlichen Aggression und damit wiederholte Kampfhandlungen. Das männliche Selbst ist nur vorübergehend siegreich, was zu immer neuen Erzählungen von der heroischen Überwindung des Anderen Anlaß gibt. Demnach inszeniert das weiße, männliche, bürgerliche Subjekt die Angriffe auf seine Vormachtstellung im Actiongenre durchaus lustvoll, erwehrt sich des Anderen und trotzt ihm seine eigene Subjektfunktion ab, schlägt somit aus seiner angreifbaren Position immer wieder Profit. Körper(-Bilder), Raum und Zeit gehen im Actionfilm eine identitätsstiftende Verbindung ein: Die Unversehrtheit von meist männlichen Körpern wird angesichts eines Bewährungsraums immer wieder aufs Spiel gesetzt, um ein zumindest zeitweise stabiles Selbst zu kreieren.
Ähnliche Strategien finden sich im Action-Computerspiel:
a) Zu den kennzeichnenden Merkmalen von Action-Computerspielen gehören exzessive Körperinszenierungen, die die männlichen Protagonisten im Spannungsfeld von Gefahr und Sieg immer wieder ihrer Stärke und Autorität versichern.
b) Auch im Computerspiel gehen männliche Körper Allianzen mit Technologien ein: Sie werden mit Hilfe der neuen Medien in die Welt gesetzt und animiert und bedienen sich neuester Kampftechniken sowie modernster Waffen. Körper, Maschine und Wahrnehmungstechnologie schließen sich zu einem effektiven, weil identitätsstärkenden Apparat zusammen.
c) In ihrer Untersuchung von Computerspielgenres faßt Ursula Krambrock ?Jump-and-run, Geschicklichkeitsspiele, 'Ballerspiele'?, also actionbetonte Genres unter einer Überschrift zusammen. Diese Art zu spielen fördert ?Geschicklichkeit, Stressresistenz unter enormem Zeitdruck und Ausdauer, das Spiel immer wieder von neuem zu beginnen?. (173) Definitionen von actionlastigen Spielen betonen generell, daß Zeit nicht mehr als historische Zeit in Erscheinung tritt, sondern ganz in der gezielten Bewegung durch den Raum, also in Geschwindigkeit aufgeht. Erzählstrukturen, die historische Verbindungen herstellen, treten hinter der Faszination des Jetzt im Spielen zurück. Wiederholung kennzeichnet die Zeitstruktur des Genres, bei dem die eigene Geschicklichkeit ausgetestet und geübt wird.
d) Krambrock beschreibt Actionspiele durch den labyrinthartigen Aufbau, der ?als eine Art animiertes Bilderrätsel zentraler Bestandteil des Spiels? ist (173). Actionspiele sind primär räumlich organisiert. Bewegung und spielerischer Fortschritt wird dementsprechend traditionell nicht wie im Film zeitlich dargestellt (durch Schnittechnik), sondern durch ein Fortkommen im Raum
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Spektakuläre Effekte
Max Payne unterscheidet sich von vielen anderen Actionspielen, weil dieses Spiel das Verhältnis zwischen Raum, Zeit und Männlichkeit in besonders expliziter Weise inszeniert und reflektiert. Zu diesem Zweck zitiert es Medien- und Genrekontexte, betont also die eigene Transmedialität, die Verbindung mit anderen Medien wie Film, Video, Comic oder Actionspielen. [2] Vor allem organisiert Max Payne jedoch die Darstellungsmodalitäten anders, als dies bisher in Actionspielen üblich war: Das Spiel integriert filmische Schnittechniken direkt in die Actionsequenzen.
Computerspiel-Zeitschriften vergleichen die ausgefeilte Graphik von Max Payne mit Actionfilmen wie Pulp Fiction oder Face Off. PC Games urteilt über das Spiel: ?Die Parallelen zu einem Kinofilm waren nie stärker. Und genau das ist das Ziel der Entwickler, wie Storyschreiber und Designer Sam Lake zugibt: 'Wir wollen eine Geschichte erzählen, so wie ein Film das tut. Die ausschweifenden Kameraperspektiven helfen uns dabei.'? (54) Ungewöhnliche 'Kameraperspektiven' setzen wilde Verfolgungsjagden und Schießereien auf New Yorker Hochhäusern und Hinterhöfen, Explosionen und vor allem die choreographischen Meisterleistungen in Szene. (Abb. 4) Damit schließen die EntwicklerInnen von Max Payne inhaltlich und darstellungstechnisch an Konventionen des Actionfilms an. Eine Analyse von Raum- und Zeitverhältnissen in Max Payne soll dies im folgenden verdeutlichen.
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Max Payne nutzt die Magie der Bilder und die Macht der Bildmedien, um spektakuläre, an den Konventionen des realistischen westlichen Erzählens gemessen, völlig unrealistische Bilder zu schaffen, in denen die Erfahrung von Raum und Zeit offensichtlich auseinanderklaffen und die physikalischen Gesetzmäßigkeiten überschritten werden können. Um die Macht bewegter Bilder in Szene zu setzen, nutzt das Spiel alle (Action-)filmischen Möglichkeiten. So werden mitten im Kampf spektakuläre Kameraschwenks vorgeführt, die den Raum über Bewegung erschließen und ungewöhnliche Einblicke nicht nur in die teils riesigen Hochhäuser und Hallen geben, sondern auch brennende und einstürzende Bauten, Explosionen und die artistischen Kampfhandlungen dynamisch in Szene setzen. Dies hat es bisher in Actionspielen so nicht gegeben.
Das aufregendste Beispiel für das Zurschaustellen technischer Bildgestaltungsmöglichkeiten in Max Payne ist die bullet time, ein Darstellungsmodus, der den Zeitablauf verlangsamt. Die virtuelle 'Kamera' verlangsamt auf Knopfdruck etwa den Flug einer gegnerischen Kugel auf Zeitlupentempo, so daß die Reaktion effektiv ausfällt ? einzig der Protagonist und damit der Spieler kann noch so schnell zielen wie immer. Auch eigene Geschosse lassen sich so verfolgen. (Abb. 5) Zum einen existiert die leicht verlangsamte bullet time, die sich nur kurzzeitig während eines Sprungs oder einer Bodenrolle des Protagonisten aktivieren läßt und dazu führt, daß Payne auch aus der Bewegung heraus effektvoll zielt. Zum anderen gibt es die noch spektakulärere bullet time im sniper-Modus (Scharfschützenmodus), die so lange andauern kann, wie noch Zeit-Bonuspunkte vorhanden sind. Sie kostet entsprechend viele Punkte des Zeitkontos. Hier verlangsamt sich das Gegenüber, die Spielenden können die Flugbahn von Kugeln verfolgen, und Payne kann sowohl ausweichen als auch optimal zielen.
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Auf der Spielebene verdeutlicht die bullet time ein wichtiges graphisches Prinizip des Spiels: Das 3D-Actionspiel Max Payne berechnet aufgrund eines eigenen Programmierverfahrens auch Details unter Berücksichtigung mehrerer Lichtquellen. Oberflächen erscheinen somit sehr differenziert ausgeleuchtet, Texturen plastisch. Dies gilt auch für Körper in Bewegung ? sie werden ebenso detailversessen berechnet. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine Waffe einfach direkt auf einen Gegner zu richten, sondern es muß beim Zielen immer die Körperbewegung mit einberechnet werden. So werden bei den vielfältigen Schußwechseln Max Paynes mit äußerst schießwütigen Gegnern die Patronenhülsen deutlich sichtbar zur Seite geschleudert. Mit Hilfe der Technik werden Raum und Zeit transzendiert und ähnlich wie im Hongkong-Actionfilm, dessen Konventionen ja bereits The Matrix nutzt, um verschiedene bildliche Ordnungen gegeneinander auszuspielen, überwindet der Held die Schwerkraft und die ?realen?, für ihn unvorteilhaften Machtverhältnisse.
Die akustischen Effekte sind ebenso ausgefeilt wie die graphischen. Explosionen und Schüsse werden durch detaillierte Soundeffekte begleitet. Außerdem werden die Geräusche im bullet-time-Modus ebenfalls verlangsamt und nehmen eine intensivere, quasi intimere Qualität an: Herzschlag- und Atemgeräusche dominieren die Tonspur.
Während Actionfilme und -spiele meist Schnelligkeit betonen, also die Handlung stetig vorantreiben und sich durch hektische Bildfolgen auszeichnen, ist die Zeitlupe ein Mittel, die Erlebnisintensität beim Zuschauen und Spielen zu unterstreichen ? zum Teil auch durch besondere Soundeffekte. Die ausgefeilten graphischen und Soundeffekte in Max Payne sind auf dem Stand der Technik und evozieren so den Eindruck der zeitgemäßen, technisch ausgefeilten Raum- und Körperdarstellung. Gerade weil sie über traditionelle Raum- und Körperdarstellungen hinausgeht, kann die digitale Technik bisher noch nie gesehende Realitätseffekte erzeugen. Das Neue des Digitalen zeigt sich in den technischen Möglichkeiten der detaillierten Raum- und Körperkonstruktion, zeigt sich aber auch darin, daß traditionell westliche Darstellungsweisen von Raum, Zeit und Körper durch andere Darstellungsmodalitäten aufgebrochen werden. [3] Körper-Ich, Raum und Zeit sind einerseits auf genrespezifische und damit westliche Weise aufeinander bezogen, andererseits werden diese Action-Konventionen in Max Payne wiederum gebrochen, so daß das Innen und Außen von Raum und Zeit nicht mehr klar voneinander zu trennen sind.
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Andere Räume
Raum, Zeit und Körper werden heute in den Kulturwissenschaften neu in Bezug zueinander gesetzt. Michel Foucault etwa bezeichnet die Postmoderne als ?die Epoche des Raumes?: ?Ich glaube also, daß die heutige Unruhe grundlegend den Raum betrifft ? jedenfalls viel mehr als die Zeit.? (66) Foucault schreibt weiter: ?Vielleicht könnte man sagen, daß manche ideologischen Konflikte in den heutigen Polemiken sich zwischen den anhänglichen Nachfahren der Zeit und den hartnäckigen Bewohnern des Raumes abspielen.? (66) Solche Auseinandersetzungen lassen sich auch hinsichtlich der Computerspiel-Diskussion beobachten.
Konrad Lischka hebt die besondere Bedeutung von Raumerfahrungen für Computerspiele hervor:
Der Raum und die räumliche Erfahrung sind ein zentrales Motiv des Computerspiels. Ein Spiel beschreibt nicht, sondern wird erfahren, was das Experimentieren mit einer Menge von Raumentwürfen ermöglicht. Darum bemisst sich heute auch die Güte aktueller Spiele zu einem großen Teil nach Anzahl der gleichzeitig darstellbaren Bildpunkte, Farben, bewegten Flächen und Lichtreflexe. Denn je mehr solcher Attribute ohne sichtbare Zeitverzögerung für jede Perspektivänderung zu berechnen sind, desto räumlicher und interessanter wird ein Spiel. Erst mit der heutigen Rechenkraft ist eine wirklich eigenständige Ästhetik möglich, die nicht mehr nur eine Adaption bekannter Raumtheorien ist. (19)
Wie aber sieht diese von Lischka postulierte ?eigenständige Ästhetik?, die bekannte Raumtheorien außer Kraft setzt, aus? Und weiter: Was bedeutet sie für die Verortung von Körperbildern?
Actionspiele wie Max Payne schaffen besondere Räume, Räume, die in ihrem technischen und ästhetischen Perfektionsanspruch Regeln des Wahrnehmens, wie sie etwa aus realistischen Romanen bekannt sind, sprengen. Der realistische Roman tendiert dazu, das Individuum idealerweise als autonome Wahrnehmungsinstanz zu inszenieren. Potentiell sollen im realistischen Roman Erfahrung einerseits und Raum- und Zeitwahrnehmung andererseits zusammenfallen. Darstellungen des Raumes dienen dazu, die Übereinstimmung zwischen symbolischer Ordnung und Körpererleben expressiv ins Bild zu setzen.
Bild- und Klangräume eines Actionspiels wie Max Payne, das auf der Höhe der Technik ist, hebt dagegen auf besonders spektakuläre Effekte ab. Das Spektakuläre steht bei der Konzeption und Einschätzung eines solchen Spiels im Vordergrund. Die technisch erzeugten Effekte verweisen eben nicht ohne weiteres auf die seit der Renaissance bekannten Zusammenhänge von Raum, Zeit und Körpererfahrung. Sie sprengen ja gerade den symbolischen Rahmen des Alltäglichen und kreieren bisher unerhörte Wahrnehmungs- und Darstellungsräume. Erst der Einsatz neuester Technik ermöglicht bislang nicht gekannte Erfahrungsräume, in denen sich das Subjekt, das sich die Technik aneignet, beweisen kann.
Deshalb setzen sich Vertreter des Actiongenres auch zum Ziel, technisch innovativ zu sein. Für Max Payne wirbt der Produzent 3D-Realms etwa auf der DVD-Hülle mit Bemerkungen wie ?the first game with photo-digitalized textures, radiosity lighting and hardware t&l combined? oder ?bullet-time gameplay, a first in gaming?, aber auch ?self-adjusting difficulty keeps you in the sweet spot of gameplay bliss?. Auch Spielezeitschriften betonen die technische Führungsrolle des Spiels. Graphisch basieren die handlungsbetonten Abschnitte sowie einige kurze 3D-Videosequenzen auf eingescannten Photographien und Videomaterial von New York City, ?kein Pixel ist von Hand gezeichnet? (PC Games 56). Max Payne schafft also explizit seine ?eigene? Welt, fiktionale Räume, die sich offensichtlich an Actiongenre-spezifischen Konventionen der Realitätskonstruktion messen, nicht an Realitätseffekten, die Alltagswirklichkeit evozieren sollen.
Roberto Simanowski und Jörn Glasenapp betonen in ?Dispositive digitaler Medien?, daß die Wirkungsmacht einer spezifischen Medientechnik von den jeweiligen Immersions- und Realitätseffekten abhängt. Diese Effekte sind wiederum genretypisch und werden je nach Medienerfahrung der NutzerInnen als mehr oder weniger immersiv erlebt. Der Eindruck eines Computerspiels ist direkt an die graphische und soundtechnische Raumerfahrung geknüpft: Genrespezifische 'Authentizität' der Realitätseffekte ? hier definiert als grenzüberschreitende Wahrnehmungserfahrung, die nur genreintern gültig ist ? ist im Computerspiel Raumeindruck.
Bereits die 'alten' Medien haben ?das Ihrige dazu getan, das 'Vertrauen in das Bild' zu erschüttern und es durch die Faszination einer medialen Inszenierung zu ersetzen, die ihre Effekte offen zur Schau trägt und eine eigene Bildrealität erzeugt?, wie der Kunsthistoriker Hans Belting schreibt (41). Manche Genres tendieren immer schon dazu, das Vertrauen ins konventionalisierte Bild zu relativieren. So konstatiert Jeannine Schwemer in ?Kino der Explosionen?, daß das Actionkino der 1980er und 90er Jahre das Publikum in eine ?unmittelbare [...] sinnlich-affektive [...] Erregung? (175) versetzt, die den wertenden Abstand zum Bild verringert. Diese affektive Wirkung macht Schwemer vor allem für die Darstellung von Explosionen geltend:
Ihre vielen simultanen Wirkungen sind unkontrollierbar und ihre Ausmaße unvorstellbar. [...] Explosionen als Bewegungsgeschehen lösen die relativ beständigen Objekte des Blicks auf. Sie sind gekennzeichnet durch Wandel, Kontingenz, Inkonsistenz und Instabilität: letztlich sind sie unkontrollierbar wie der Fluss der Filmbilder selbst [...] (175)
Die Akzeptanz bestimmter, auch genretypischer Realitätseffekte wird immer dann besonders offensiv verhandelt, wenn ein Text wie im vorliegenden Fall Max Payne indiziert wird. Die Indizierung ist Teil eines neuen Bilderstreits, in dem, wie Hans Belting schreibt, ?Definitionsmonopole umkämpft sind.? (11) Etabliert sich ein neues Medium, läßt sich beobachten, daß die Definitionsmacht der Medienkonzerne ebenso umstritten ist, wie die Definitionsmacht der bevorzugten Spielergruppe angefochten wird.
Diese Aussage bestätigt auch Heiner Ullrich, wenn er über zeitgenössische Medien im allgemeinen und speziell über Computerspiele schreibt: ?Dank der Dominanz der visuellen, auditiven Medien und der Vernachlässigung der Schriftkultur wird die Überlegenheit der Erwachsenen über die Kinder aufgehoben.? (74f.) Die resultierende ?Schwächung der pädagogischen Autorität der Eltern? führt nicht zuletzt zu einem erbitterten Streit um die Darstellungsmodalitäten von Computerspielen. Der Faktor 'Realität' bzw. die Effekte, um den Eindruck von Realität zu erzeugen, stehen dabei zur Disposition. Die spektakulären Aspekte des Actiongenres sind mit dem Realismusvorwurf relativ leicht anzugreifen ? schließlich sind sie per definitionem eminent sichtbar und drängen sich schmerzhaft auf.
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Gerahmte Körper
In Romanen und Filmen, die den Darstellungsvorgaben des expressiven Realismus folgen, wird Raum ? hier interessant als Bildraum, bildhaft gestalteter Raum ? als eine vorgefundene stabile Struktur mit Zentrum und Peripherie, oben und unten, rechts und links, Vorher und Nachher beschrieben, d. h. mit festen, räumlich gegebenen und historisch gewachsenen, von jedem Punkt aus gleichermaßen erschließbaren Beziehungen. Ein Raum kennzeichnet sich über seine Geschichte, und durch diese Geschichte, durch eine kausal verknüpfte Erzählung läßt er sich eindeutig und wiedererkennbar beschreiben. Die Positionierung von Körpern in diesen Räumen folgt klaren historisierenden und perspektivischen Regeln, so daß ein Körper Rückschlüsse auf seine Umgebung zuläßt und eine Umgebung eine Ahnung der Hierarchie von den in ihr verorteten Körpern gibt. Idealerweise besteht eine eindeutige Verweisstruktur zwischen intakter Raum- und Körperoberfläche einerseits und geschlossener Innerlichkeit andererseits. Der fortschreitende Verlust des Ideals einer eindeutigen historischen Plazierung im Raum und im Raumbild führte seit der Romantik zwangsläufig zu immer neuen, teilweise konkurrierenden Definitionen des Verhältnisses von Raum, Zeit und Körperidentität.
Körperbilder benötigen immer eine Rahmung, ein framing. Erst der Rahmen ? der Bildausschnitt, der den Körper im Bild positioniert, sorgt dafür, daß Körper nicht aus dem Ort- und Zeitrahmen fallen. Eine bekannte Art des Rahmens ist die Zentralperspektive. Im Film gibt es identitäts- und zusammenhangstiftende Verfahren wie shot ? reverse shot, welche Körper zueinander in Beziehung setzen, die nicht zugleich im Bildausschnitt zu sehen sind. Der Abstand zwischen den Figuren wird ebenso überbrückt wie der zwischen den Einzelbildern, die bedrohliche mögliche Leere, die Beziehungslosigkeit zwischen Figuren durch eine Konvention sinnstiftend gefüllt. Was aber geschieht, wenn mit einem neuen Medium solche Konventionen nicht mehr ohne weiteres statthaben und Körper verstärkt drohen, aus dem Rahmen der symbolischen Ordnung zu fallen?
Eine Möglichkeit der ästhetischen Rahmung von Körperbildern in Action-Computerspielen ist ein verstärktes Aufgebot an technischen Hilfsmitteln, die es erlauben, Körper auch durch eine extrem gefährliche mediale Welt sicher hindurchzusteuern. Eine andere Möglichkeit stellt der Einsatz von kontextuellen Bezügen dar. In Max Payne etwa existiert neben den technisch hochgerüsteten kampf- und waffenstrotzenden Szenen noch eine zweite Darstellungsform, die an ein anderes Medium anknüpft: Erzählerisch-historisierende Sequenzen sind wie Comics gestaltet.
Action- und Erzählelemente sind auf den ersten Blick klar voneinander abgesetzt. Dies ist an sich nicht untypisch für actionlastige Spiele wie etwa Blade Runner oder Tomb Raider, in denen selbstablaufende Videosequenzen die klassische, linear strukturierte Erzählfunktion übernehmen. Ungewöhnlich ist die statische, optisch verfremdete Comic-Darstellung der narrativen Einschübe in Max Payne. Die Standbilder evozieren die gleiche düstere Atmosphäre wie die photorealistischen Actionsequenzen. Während die Actionpassagen jedoch eine mitreißende, immersive und lineare Kontinuität herstellen, ist bei den narrativen Comic-Standbildern die aktive Mitarbeit der Spielenden gefragt. Hier gilt es, den Erzählfluß von Bild zu Bild erst zu schaffen. Durch diese Gegenüberstellung verschiedener medialer Darstellungsweisen kontrastiert Max Payne eher spiel- und actionbetonte Abschnitte mit geschichtsbetonten Sequenzen und wirkt bisherigen Abgrenzungen zwischen diesen Erzählformen in Computerspielen entgegen.
Die auffälligen filmischen Darstellungsmittel verbinden die Navigation im Raum mit spektakulären Kamerabewegungen und Schnitten zwischen verschiedenen Perspektiven und Bildausschnitten, wodurch die immersive Präsenz der SpielerInnen zugleich spielbetont und filmähnlich ist. So profitiert Max Payne direkt davon, daß seine SpielerInnen an Erzählkonventionen des Actionfilms geschult sind und sich höchstwahrscheinlich auch durch diese Konventionen besonders angesprochen fühlen. Die Comic-Elemente verzichten ? für Erzählsequenzen in Computerspielen untypisch ? hingegen auf filmische Schnittechniken und damit auf Aktions- und Erzählfluß zugunsten einer historisierenden bzw. wertenden Kontextualität: Hier dominieren nicht nur narrative Elemente, sondern auch ironische Seitenhiebe auf das Actiongenre und die Männlichkeit seiner Helden. Die Comicform schafft den historischen Rahmen, verleiht ihm aber eine selbstreferentielle, konstruktivistische Qualität und spricht wohl vor allem die SpielerInnen an, die durch Comics und verwandte Medien geschult sind.
Filme und Spiele werden in Max Payne auch direkt zitiert. In Kapitel sechs des ersten Teils betritt man einen Raum, sieht eine Waffe in der Küche liegen und hört wie in Pulp Fiction deren Besitzer nebenan auf der Toilette pfeifen. Es finden sich auch Verweise auf die Vampir-Fernsehserie Buffy und auf das Action-Computerspiel Soldier of Fortune. Der Science-fiction-Actionfilm Matrix stand nicht nur bei der Entwicklung der bullet time Pate, sondern auch die Eingangshalle von Kapitel sieben scheint diesem Film nachempfunden.
Intertextualität prägt alle Ebenen des Spiels. So weisen Comicform und photorealistische Sequenzen gleichermaßen intertextuelle Bezüge zum hard-boiled-Kriminalroman, zum film noir, zu anderen Medien und zu anderen Vertretern des Actiongenres auf: Die Sprache ist hart und sarkastisch, Licht- und Schatteneffekte erzeugen oft schlecht ausgeleuchtete, unheimliche, unübersichtliche Räume. Die film-noir-Anklänge sind postmodern gebrochen und nicht eindeutig zu lesen. Ironie und Selbstreferentialität erinnern an Filme im neorealistischen Stil von Quentin Tarantinos Pulp Fiction, die ihrerseits verschiedene populäre Genres zitieren und Comic-Qualität haben. In einer comicartigen Szene tritt die Gefährdung traditioneller Männlichkeit besonders offen zu Tage: Max trifft auf die Killerin Mona Sax und muß sich als Mann augenfällig mit ihr messen. In diesem Bild wird klar, daß die Konfrontation zwischen Mann und Frau heute auch für den Mann vernichtend enden kann, denn Mona ist keine verfolgte Unschuld: ?I?d blow you away without batting an eye.? Max? ?credentials?, all das, was ihn als Mann autorisiert, gilt es, hier ebenso neu zu verhandeln wie die Darstellung der Frau als verfolgte Unschuld in unzähligen Computerspielen. (Abb. 6)
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Umkämpfte Räume
Die Neuen Medien tragen dazu bei, daß Anordnungen von Körpern in Raum und Zeit momentan neu verhandelt werden, und stellen selbst neue Ordnungen her. Im Actiongenre dominieren special effects, in denen die spektakuläre Qualität des jeweiligen Mediums ? Film oder Computerspiel ? gefeiert wird. Das Spektakuläre verweist nicht auf die natürliche Geschlossenheit eines wahrnehmenden Subjekts, sondern auf die Möglichkeit, ein in seiner Autorität bedrohtes Subjekt mit Hilfe einer (neuen) Präsentationstechnik zu stärken. Es führt spekulative Räume durch exzessive Bilder vor Augen und fordert die users dazu auf, deren fiktiv-spektakuläre Qualitäten zu konsumieren und einen Bund mit den technisch optimierten Körperdarstellungen einzugehen ? sie als ermächtigte, die Subjektfunktion stabilisierende Körper zu lesen. Das Spektakel veranschaulicht ? wie schon im frühen Film, so auch auf dem Computer ? die Faszination einer Technologie, die bereits verlorene Subjektpositionen wiederzubringen verspricht. Im Actiongenre gehen Körperbilder und Technik eine für beide Seiten höchst profitable Verbindung ein, um die meist männlichen Zuschauer bzw. Spieler anzuziehen.
Im Vordergrund der Bilddarstellung steht die Aggressivität, mit der Räume gesäubert und besetzt werden. Aggressivität gegen das Andere zeichnet unzählige westliche Fiktionen männlicher Selbstbehauptung aus, ist jedoch in der Regel ein weniger auffallender Bestandteil einer konventionellen und hegemonialen Bildordnung. David Herman beschreibt diesen selbstverleugnenden Aspekt von Erzählkonventionen:
The realistic novel typically hid its representational conventions; characteristically, it aimed to create a wholly immersive experience by backgrounding its constructedness and passing itself off as a transparent window on the world. By contrast, experimental fictions foreground their own narrative structures, their status as stories that have been constructed. (6)
Auch in kommerziellen Computerspielen lenken Immersivität und Interaktivität den kritischen Blick eines Spielers oder einer Spielerin in der Regel von den Konventionen ab, welche eine bruchlose Identifikation mit dem Protagonisten gewährleisten sollen. Interaktivität ist die Konvention, die Computerspiele am deutlichsten von Büchern oder Spielfilmen unterscheidet und die ihren Immersionseffekt maßgeblich bestimmt. Die besten Immersionseffekte erzielt die Interaktivität dann, wenn einerseits das Interface, andererseits die Strukturelemente und Konventionen unsichtbar bleiben und das zügige Navigieren im virtuellen Raum nicht offensichtlich stören.
Die Bewegungs- und Manipulationsfreiheit, die den SpielerInnen in Computerspielen meist suggeriert wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als technischer Realitäts- und Immersionseffekt. Ein Spiel ist um so effektiver, je 'offener' seine Räume und Navigationsmöglichkeiten auf die NutzerInnen wirkt, je stärker es also die programmierseitig vorgegebene Struktur vergessen läßt. Es ist eine der möglichen ästhetischen, genrespezifischen Leistungen eines Spiels, die Einschränkungen des Handlungsspielraums vergessen zu lassen.
Den räumlich-zeitlichen Ablauf und die Perspektive bzw. den Bildausschnitt bestimmt die Spielerin durch ihre Bewegung oder ihre Entscheidungen innerhalb der programmierseitig vorgegebenen Wahlmöglichkeiten normalerweise so oft wie möglich selbst. Programmierte, selbst ablaufende Sequenzen, die Filmtechniken simulieren oder, wie in Max Payne, Schnitte in die ansonsten von der Spielerin frei gewählte perspektivische Anordnung einführen, unterbrechen die manuelle Interaktion mit der Maschine und damit den räumlich orientierten Spielfluß. Sie sorgen vergleichbar mit dem Spielfilm dafür, daß die Spielerin in die Kontinuität und Logik der Darstellungsprozesse involviert wird. Der Grad und die Art der Immersion im Computerspiel hängt also von der Art der Interaktion ab. Es existieren zum einen eher räumliche und geschwindigkeitsorientierte, zum anderen stärker historisch orientierte, erzählerische Immersionseffekte, und je nach Genre sind diese beiden Konventionen mehr oder weniger wichtig.
Max Payne präsentiert in spektakulären, immersiven Bildern den Kampf um eine Raumordnung, die sich allerdings nicht 'von selbst versteht?. Denn das Actionspiel läßt die Spielerin einerseits an der Lust teilhaben, die das Bestehen in diesem sublimen Bewährungsraum garantiert. Andererseits kontrastiert es diese Lust mit ironischen, selbstreflexiven Bezügen auf die verunsichernden Machtverhältnisse, die in dieser virtuellen Welt statthaben, und unterbricht so den immersiven und selbstversichernden Fluß der Raumbilder.
Damit steht die Gültigkeit der Machtverhältnisse im Spiel zur Diskussion. Der Kampf um die Macht des Blickes und der Technologie, Körper raumgerecht und damit hierarchiekonform zuzurichten, wird im Actiongenre ins Bildzentrum gerückt, dorthin, wo Machtverhältnisse augenfällig ausgefochten werden. In einem selbstironischen Spiel wie Max Payne werden auch die Wahrnehmungsregeln des Genres selbst hinterfragt. Eine eindeutig zentrierte, unwidersprüchliche Identität, die sich vor allem historisch situiert, kann man hier nicht erwarten.
Erst der erkundende Umgang mit einem navigierbaren Raum 'schafft' in einem Computerspiel Raum, einen Raum, der sich beim Navigieren für die Spielinstanz als sicher oder unsicher erweist. In Action-Szenarios wird Raum zum Bewährungsraum für Körper. Es geht ums Überleben. Es geht darum, sich angesichts unzähliger Anfechtungen durchzusetzen und letztlich unbeschadet zu entkommen. Außerdem ist es wichtig, seinen Körper dabei schnell und effektiv einzusetzen. In Actionfilmen und Action-Computerspielen spielen Körper und alles, was man zur Selbstautorisierung und Selbstversicherung am Leib trägt, eine Hauptrolle und sind zugleich extrem gefährdet.
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Selbstbehauptung angesichts des Erhabenen
Gesucht wird nun eine Theorie, die es ermöglicht, diese zugleich gefährdenden und selbstversichernden Raumbedingungen im Computerspiel einzuordnen. Wie also müßte eine Theorie eines solchen räumlichen Erzählens aussehen?
Diese Theorie sollte die folgenden ambivalenten Raum- und Körperverhältnisse des Actiongenres skizzieren helfen:
a) Raum und Körper sowie Körper-Ich sind machtspezifisch aufeinander bezogen, wodurch Raum zum Bewährungsraum wird.
b) In Bewährungsräumen entfalten sich Charaktere nicht, sondern sie müssen sich behaupten.
c) Der Aktant/Avatar mißt sich daran, daß er seinen Körper wiederholt und lustvoll dem Raum aussetzt, sich in Gefahr bringt, letztlich aber überlebt und an der Erfahrung zum heldenhaften Subjekt erstarkt.
d) Der Aktant übt wiederum eine direkte Wirkung auf ein spielendes Ich aus, das sich mit dem Subjektivierungsprozeß des Aktanten identifiziert und somit seinerseits von diesem Spielvorgang profitiert.
Die Ästhetik des Schönen und des Erhabenen thematisiert dieses grundsätzliche Szenario seitens der Theorie sowohl für das gesprochene und geschriebene Wort wie für bildgebende Verfahren. [4] Im vorliegenden Zusammenhang sind folgende Punkte von Interesse:
a) Diese Theorie bezieht Ich und Raum direkt aufeinander, definiert Raum als Gefährdungs- und Bewährungsraum für ein erzählendes, agierendes und rezipierendes Selbst.
b) Sie stellt die Fragilität bzw. die Stabilität des Ich angesichts einer grenzüberschreitenden Erfahrung in den Vordergrund.
c) Sie beschreibt die Ich-Formierung als performativen Vorgang und betont somit deren prozessuale Qualität. [5]
d) Sie stellt den Prozeß der Ich-Formierung als einen Machtprozeß dar.
e) Sie verbindet erzählerische und performativ-spielerische Elemente der Selbstdarstellung.
f) Sie befaßt sich mit der Lust an der Konfrontation mit grenzüberschreitenden Erfahrungen und mit der Notwendigkeit, die Gefährdung des Ich ständig zu wiederholen. Die Lust entsteht dort, wo auch eine extreme Grenzerfahrung ein framing erfährt, erzählerisch und ästhetisch gerahmt wird. Erzählung ist hier also die Möglichkeit, eine extreme Erfahrung in eine verständliche und potentiell lustvolle Form zu bringen.
g) Sie thematisiert für die Rezeptionsinstanz einerseits Mitleid, andererseits Abstand zu existentiellen Erfahrungen wie Scheitern und Tod.
h) Sie stellt ein gender-orientiertes Modell zur Verfügung, eine Tradition geschlechtsspezifischer Autorisierungsstrategien, mit denen noch heute zu rechnen ist.
Die Ästhetik des Sublimen theoretisiert eine Rezeptionserfahrung, die Konfrontationen mit dem Unbekannten bewältigen hilft. Dieses Unbekannte kann einerseits von außen auf das Ich zukommen und somit als Teil eines äußeren Bewährungsraums gesehen werden. Ich und Außenwelt sind in diesem Fall wahrnehmungs- und darstellungstechnisch nicht vereinbar. Das Unbekannte, nicht Faßbare kann aber andererseits auch die mediale Schnittstelle zwischen Körper-Ich und dem Außen betreffen, da mediale Veränderungen immer mit Unbekanntem konfrontieren. Sie bringen ein neues Raum-Zeit-Verständnis mit sich, das noch nicht in die Subjekte und ihr Körper-Ich eingeschrieben, noch nicht diskursiviert und deshalb angstbesetzt ist. [6] Die Grenzen des jeweiligen Körper-Ich müssen erst noch entsprechend justiert werden, sie müssen sich in einem neuen Handlungsraum bewähren. Spektakuläre Realitätseffekte in Actionspielen schaffen solche exzessiven Erlebnis- und Bewährungsräume. Sie bieten vor allem männlichen Nutzern spielerische Räume am Computer, die Bewährung als ein räumliches Problem darstellen und den Ausweg aus der Gefahr in der Säuberung dieses Raumes sehen. In diesen Räumen zählt allein die technische Überlegenheit.
Die bestehende literatur-, film-, medien- und kulturwissenschaftliche Forschung, aber auch (post)feministische und postkoloniale Ansätze gehen übereinstimmend davon aus, daß Bilder von gefährderten, deformierbaren, auf äußere Einwirkung durchlässigen Körpern verstärkt in Zeiten auftreten, in denen sich Körpernormen auf der Grundlage neuer Wahrnehmungs- und Darstellungsmodalitäten anders formieren müssen als bislang gewohnt. Immer wenn symbolische Ordnung und gesellschaftliche Praxis krisenhaft auseinanderklaffen, entstehen Raumbilder, die körperliche Grenzziehungen bedrohen oder sogar durchbrechen und so exzessive, hysterische Körper- und Mediendiskurse aufrufen. Die digitale Revolution bringt dabei eine Informatik der Herrschaft hervor, die es erlaubt, jeden einzelnen Körper als Punkt in einem prozessual gedachten, räumlichen Informationsnetz zum Objekt ständig neuer Konfigurationen von Macht zu machen.
Der Raum des Digitalen verheißt die letzte Zufluchtsmöglichkeit für eine bereits Anfang des 20. Jahrhunderts verloren geglaubte unangefochtene, technisch kompetente Männlichkeit. Zugleich wird das bisherige Zweigeschlechtermodell zunehmend durch ein flexibleres System ersetzt: Ein formbares, changierendes, ironisch gebrochenes Körper-Ich ist gefragt, das sich an alle räumlichen und zeitlichen Anforderungen anpassen kann. So stellen Computerspiele wie Max Payne gerade im ironischen Unterlaufen bestehender Darstellungs- und Wahrnehmungsregeln Möglichkeiten der Angstbewältigung in Zeiten der Körper- und Medienkrisen bereit, die auch angesichts stetig neuer, verschiedenartiger Rezeptionsgruppierungen zur zumindest vorübergehenden Stabilisierung neuer Subjekt-, Körper- und Medienkonzepte dienen können
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Fußnoten
[1] Zur geringen Wertschätzung des Actiongenres seitens der akademischen Kritik siehe etwa Yvonne Taskers Spectacular Bodies 6, 12.
[2] In dem Aufsatz ?Computerspiel: Hybride Formen zwischen Spiel und Erzählung? kennzeichnet Karin Wenz transmediale Hybridität als eine typische Eigenschaft von Computermedien, die auch bei der Computerspiel-Analyse zu berücksichtigen ist.
[3] In der westlichen Bilderwelt, die laut Belting seit der Renaissance-Malerei gilt, ist ein Konzept von Körper und Raumarchitektur angesiedelt, das sich in der ?Antithese von umbautem Innenraum und Fensterblick? verortet, und ein Subjekt, ?das sich antithetisch zur Welt fühlt?. (43)
[4] Die westliche Ästhetik ist seit dem 18. Jahrhundert durch zwei Kategorien bestimmt, die des Sublimen und die des Schönen. Zur dialogischen, ödipalen Struktur der erhabenen Ästhetik siehe u.a. Harold Bloom, The Anxiety of Influence: A Theory of Poetry, Klaus Poenicke, ?Zur Komplizenschaft von Ästhetik und Geschlechterkonstruktion: Codewort Sublime?, und Randi Gunzenhäuser, Horror at Home: Genre, Gender und das Gothic Sublime. Siehe auch Nina Bayms ?Melodramas of Beset Manhood? zur gewinnbringenden melodramatischen Inszenierung männlicher Erfahrung von Verlust in solchen Szenarios. Zur männlichen Hysterie, die Künstler gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer dramatischer auslebten, siehe u.a. Christina von Braun, ?Männliche Hysterie ? weibliche Askese. Zum Paradigmenwechsel der Geschlechterrollen?, Elaine Showalter, ?Hysteria, Feminism, and Gender?, und Elisabeth Bronfen, Over Her Dead Body.
[5] Zur Performativität und Instabilität von Subjektivierungsprozessen siehe Judith Butlers Bodies That Matter.
[6] Paul Virilio verurteilt die Einschreibung des Cyberspace in die Körper in Die Eroberung des Körpers: Vom Übermenschen zum überreizten Menschen als fehlgeleitete Entwicklung zur ?Delokalisierung?: ?Aus der künftigen Vermischung zwischen dem realen Raum der Handlung und dem virtuellen Raum der Rückkopplung resultiert in der Tat die Blockierung jeder Positionierung und damit die Krise jeder Positionsvorhersage ...? (168).
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