''Neuer Tag heißt ja bekanntlich neues Leben. Nur ich merke davon nichts.''
Ihre Beine fühlten sich an, als würden sie jeden Moment brechen. Sie zitterten und gaben leicht nach. Mit ihren Händen stützte sie sich am Schreibtisch ab. Die Angst, auf dem Boden zu landen staute sich in ihrem Kopf. Sie spürte, wie sich Blut einen Weg an ihren Beinen herunter gebahnt hatte. Aber sie fühlte kein Mitleid. Mitleid mit sich selbst. Immerhin hatte sie dieses rote Wasser bewusst aus ihren Beinen treten lassen. Sie hat es leben lassen und wollte jenes Leben nicht beenden. Durch ihr Blut wusste sie, dass sie lebt. Und das war alles, was sie wollte. Ihre Existenz bewahrheiten, anders konnte sie sich so etwas nicht beweisen. Ihre Hand drückte die Klinge mit mehr Druck auf ihre Oberschenkel und verzierte diese mit mehr und mehr, von dem, wofür sie sich hasste. Zwar wollte sie sehen, dass sie lebt, dass sie blutet, aber gleichzeitig hasste sie sich für diese Taten, weil sie ganz genau wusste, welche Schmerzen sie danach erleiden musste. Schmerzen, an die sie die nächste Zeit nicht nur ein Mal denken wird.
Die Nacht hatte sich längst am Himmel ausgebreitet, als sie mit unheimlichen Schmerzen in die Küche ging. Sie wusste noch ganz genau, wo der Verbandskasten war und holte sich hektisch Verband heraus, um ihre Beine zu verbinden. Das Blut hatte gestoppt, aber sie konnte sich nicht hinlegen, um stillschweigend einzuschlafen. Ihre Beine schmerzten mit jeder Bewegung mehr. Als sie sich langsam und darauf bedacht, keine Tränen erwachen zu lassen, den Verband um beide Oberschenkel machte, wurde ihr bewusst, was sie gemacht hatte. Wie dämlich das war. Und vorallem, wie sehr sie sich dafür hasste.
Am nächsten Morgen wachte sie durch Schmerzen auf. Und schlief kurz darauf unter dieser Bedingung wieder ein. Sie wollte keine Schmerzen mehr spüren. Ihr war bewusst, dass sie lebt, das war Beweis genug.