Meine Muskeln verkrampften sich, ich gab mich auf. Ich wollte nun von der Welt fort, nie wieder herkommen und einfach frei sein. - Doch dann kam sie, dieses seltsam, stille Mädchen, was ich immer mal in der Schule beobachtet hatte. Sie setzte sich neben mich, auf die Schiene und ich begriff, dieses Mädchen wollte sich auch umbringen. Ich sagte nichts, fasste meine letzten Gedanken, einfach das Leben in Gedanken nocheinmal durchgehen. Diese Momente, wo mein Vater meine Mutter schlug, sie daraufhin weinte und wieder mit einer neuen Wunde da saß... diese Bilder gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.
Bis das Mädchen sich plötzlich, dennoch ruhig bewegte. Die Bewegung endete mit zwei Händen, die sie sich um sich geschlungen hatte. Sie fing an zu weinen und zu wimmern, annähernd wie ein Hund. Ich zerrte sie von den Schienen. Ich murmelte, dass sie mir ihre Geschichte erzählen sollte. Wie es mit den Selbstmordgedanken bei ihr anfing. Sie erklärte mir alles, viele Details. Sie hatte als kleines Kind schon immer im Bett gelegen und geweint, gebetet habe sie.
Alicia, so hieß sie, wie ich erfuhr fand sich selbst armseelig und so, wie sie es sagte, kam es auch rüber. Auch wenn sie schon so viel Schmerz erlebt hatte.
Ich merkte, dass ich an den Selbstmordversuch zu zweifeln anfing, sollte ich wircklich gleich sterben? Mit siebzehn Jahren hatte man noch so viel Zeit. Doch was sollte ich noch auf dieser Welt? Ich sah keinen Sinn. Alles war kaputt gemacht worden, mein Vater, der meine Mutter geschlagen hatte, hatte mir somit auch Wunden zugefügt. Zwar nicht äußerlich sichtbar, doch im Innern war ich schon lange kaputt, traurig. - Einfach leer. Ich hatte keinen Sinn mehr zum Leben.
Das Mädchen war inzwischen wieder aufgestanden, ich jedoch lag noch zum Himmelblickend im Gras. Ich sah, wie ein wenig Erde, von Alicia runterrieselte. Genau in meine Augen. Es schmerzte kurz, doch nach einer Weile ging es wieder. Alicia entschuldigte sich.
Wir redeten noch eine ganze Weile, bis sie meinte, dass sie nach Hause müsse. Eine Nacht, nocheinmal über alles schlafen. Sie gab mir den Rat, dies auch zu tun. Ich sagte ihr, dass ich es tun würde, aber noch ein wenig draußen sein wollte. Sie nickte, leicht lächelnd und verschwand dann hinter dichten Bäumen.
Als ich sie nicht mehr sehen konnte, setzte ich mich wieder auf die Schienen, diesmal leicht zögernd. Alicia hatte mich zum nachdenken gebracht. Sie fand ihr Leben zwar zum wegschmeißen gut genug, machte dennoch weiter. Sie lebte weiter, für ihre kleine Schwester Esme. Ich dachte weiter, wen hatte ich als Grund, um weiterzuleben? Ich hatte keine Geschwister, meine Mutter war gestorben, nachdem mein Vater ihr mit einem Messer in den Körper gerammt hatte. Mein Vater hatte es wohl bereut und sich ein Jahr später erschossen. Ich verzieh ihm das alles nicht, niemals. Er hätte verdient mit schlechtem Gewissen zu leben.
Als ich so darüber nachdachte, dass ich niemanden mehr hatte, schloss ich meine Augen und gab mich auf. Der Wind wehte mehr, ich wusste jetzt war es so weit. Allein gelassen mit einem Herzen aus Stein, das so eiskalt gewesen war, dass man keinen Unterschied zum nichtschlagenden Herz hätte bemerken können. So eiskalt war es in den letzten Jahren gewesen. Nun lag es unter Schutt und Staub.-Völlig schwarz geworden, von der Welt.