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Microsoft-Chef Steve Ballmer

Microsoft öffnet Software für alle

Zeitenwende bei Microsoft: Der Softwarehersteller bricht mit seiner Firmenstrategie und öffnet Schnittstellen seiner Programme für alle Entwickler. Der Konzern will so EU-Auflagen erfüllen, um drakonische Strafen abzuwenden - macht damit aber auch seine Programme ungemein attraktiv.

Microsoft ist bisher eher bekannt für Blockadepolitik. Bei Software, Dateiformaten und Kommunikationsprotokollen galt bisher: Der Konzern kapselt sich ab, lässt externe Entwicklungen nicht zu. Doch jetzt schlägt er eine ganz neue Richtung ein.

Drei Jahrzehnte lang konnten Entwickler nur dann Software für Microsofts Betriebssysteme und Programme entwickeln, wenn ihnen der Konzern das als Partnerunternehmen erlaubte. In den Genuss der dafür notwendigen Developer-Kits kam nicht jeder. Diese Strategie brachte Microsoft über die Jahre viel Kritik und etliche Klagen ein - sie begründete aber auch den exorbitanten Markterfolg des Unternehmens, das den PC-Markt lange Zeit weitgehend unangefochten kontrollierte.

Das alles soll vorbei sein: Künftig werde man sich öffnen und dafür sorgen, dass Microsoft-Produkte reibungslos mit Produkten anderer Hersteller zusammenarbeiten, gab Konzernchef Steve Ballmer am Abend bekannt. Geradezu sensationell: Man werde ab sofort die Programmierschnittstellen etlicher Microsoft-Produkte für externe Entwickler freigeben. Im Kern der Ankündigung stehen vier Grundregeln, nach denen sich der Softwarehersteller künftig ausrichten will. Künftig will Microsoft:
  1. offene Verbindungen bereitstellen,
  2. Datentransfers ermöglichen,
  3. Industriestandards unterstützen und
  4. sich offener mit Kunden, der Industrie und Open-Source-Gemeinschaften auseinandersetzen.

Der Anfang soll sofort gemacht werden. Noch heute werde man rund 30.000 Seiten Dokumentation auf Microsofts Entwickler-Webseite MSDN veröffentlichen, kündigte der Konzern an. Die Dokumente beschreiben die Kommunikationsprotokolle zwischen Microsoft-Servern und den daran angeschlossenen PCs. Bisher waren diese Informationen nur nach Unterzeichnung einer Geheimhaltungserklärung zu bekommen.

APIs sind grob vereinfacht die Andockstellen, die es erlauben, von anderen entwickelte Programme auf den Microsoft-Programmen und Plattformen laufen zu lassen. Über sie schafft man Kompatibilität: Nur wer Zugang zu den APIs hat, kann seine Software auf die betreffende Plattform zuschneiden. Künftig werden mehr Entwickler die Möglichkeit haben, entsprechende Angebote zu machen. Und das, ohne sich, wie in der Vergangenheit nötig, von Microsoft abhängig machen zu müssen. Die Zahl freier Entwicklungen für die Microsoft-Plattformen könnte das merklich erhöhen. Insbesondere die ungewöhnlich herzliche Einladung an die Open-Source-Gemeinde zeigt das Ausmaß dieses Strategiewechsels, der letztlich einer Änderung der Firmenkultur gleichkommt.

Geradezu sensationell: Auch das Bürosoftwarepaket Office 2007 will der Konzern den Entwicklern öffnen. Man werde eigene Programmierschnittstellen für Word, Excel und Co. entwickeln, über die externe Programmierer ihre eigenen Dateiformate in die Programme integrieren können.

Damit nicht genug, kündigte das Unternehmen an, genau zu dokumentieren, welche Microsoft-Patente auf die einzelnen Kommunikationsprotokolle anzuwenden sind. Lizenzen zur Nutzung dieser Patente will der Konzern interessierten Firmen zu günstigen Preisen anbieten. Entwickler sogenannter Open-Source-Anwendungen sind von den Lizenzvereinbarungen allerdings ausgeschlossen, dürfen sämtliche Protokolle sogar kostenlos nutzen.

Zusätzlich ruft Microsoft die "Open Source Interoperability Initiative" ins Leben, die helfen soll, kommerzielle und freie Software besser miteinander zu verzahnen. Dazu will der Konzern den Entwicklern aktiv unter die Arme greifen und beispielsweise auf speziell dafür ausgerichteten Veranstaltungen die Zusammenarbeit mit der Open-Source-Gemeinschaft verbessern.

Relevanz für Kunden und Anwender

Das alles scheint abstrakt, ist aber - in den Worten von Microsofts Chefentwickler Ray Ozzie - ein "wichtiger Strategiewechsel". Der könnte schnell auch für PC-Anwender spürbar werden: Der Schritt ermöglicht eine erheblich leichtere Programmierung diverser Anwendungen für die Windows-Plattform und andere wichtige Programme des Konzerns. Im Mittelpunkt des Ganzen stehen die sogenannten APIs, die "Application Programming Interfaces" - die Programmierschnittstellen.

Die EU hat nachgeholfen

Microsoft reagiert mit diesen Schritten nicht zuletzt auf Auflagen der Europäischen Union, die Microsofts Geschäftsgebaren in der Vergangenheit zweimal ausgiebig beleuchtet und vehement kritisiert hatte. Im September 2007 bestätigte der Europäische Gerichtshof Auflagen der EU-Kommission aus dem Jahr 2004 gegen Microsoft und verurteilte den Konzern dazu, seine APIs binnen 120 Tagen öffnen zu müssen. Die EU hatte Microsoft wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts ein Buße von 497 Millionen Euro auferlegt, der Gerichtshof bestätigte die Rechtmäßigkeit, MS musste zahlen. Im Januar 2008 eröffnete die EU-Kommission zwei neue Kartellverfahren, denen nun eventuell die Grundlage entzogen werden könnte.

Doch Microsoft vermeidet nicht nur neue Strafen, es zieht auch seinen Nutzen aus der Strategieänderung. Kaum zufällig öffnet Microsoft zwar die APIs der neuen Windows-Version Vista, nicht aber die des vom Unternehmen als alt angesehenen Windows XP. Der Witz daran: XP erfreut sich nach wie vor größerer Beliebtheit als Vista, dessen Marktstart eher verhalten verlief. Jetzt wird es für andere Softwareentwickler leichter und billiger, für die Vista-Plattform zu programmieren, als für XP.

Ballmer vertritt den Strategiewechsel entsprechend selbstbewusst. Ja, sagt er, Microsoft habe hier auch "Dinge getan, um Auflagen zu erfüllen, um unserer ganz besonderen juristischen Situation gerecht zu werden". Aber der Strategiewechsel sei Microsoft trotzdem nicht von außen aufgezwungen worden. Das Unternehmen stelle sich damit vielmehr "neuen Herausforderungen in einer immer vernetzteren Welt".

Die alte Zeit, in der man Rechner baute und Programme schrieb und versuchte, einen Markt damit abzudecken, sei vorbei. Jetzt gehe es Microsoft darum, dass Entwickler ihre Kreativität einbrächten und "Mehrwerte rund um unsere Produkte" schüfen - und damit auch für Microsoft. Denn auch da ist Ballmer sich sicher: "Langfristig zahlt sich das auch für unsere Aktionäre aus."

Schnelle Reaktion aus Brüssel

Die EU-Kommission reagierte Umgehend auf die Ankündigung von Microsoft. Sie werde die angekündigte Offenlegung von Schnittstelleninformationen in einem bereits laufenden Missbrauchsverfahren gegen den Softwaregiganten prüfen. Es habe in der Vergangenheit bereits mindestens vier Ankündigungen des Konzerns im Hinblick auf diese Informationen gegeben, teilte die EU-Kommission am Donnerstag in Brüssel mit.

Auch die bisher mit Microsoft im Clinch liegende Konkurrenz hält sich zunächst bedeckt. Laut Branchenverband ECIS, dem unter anderen Opera, RealNetworks und Sun Microsystems angehören, ist es zu früh zu sagen, ob die angekündigten Maßnahmen tatsächlich einen Strategiewechsel von Microsoft bedeuten. Es sei ebenfalls überhaupt nicht abzusehen, ob der Vorstoß den Konzern dazu führe, dass die EU-Wettbewerbsregeln künftig eingehalten werden.

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