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Huamblkriftzutl

Husum

Ich öffne die Augen und mein Blick fällt auf das Zifferblatt meines Weckers. Meines Weckers? Ich blinzele zwei Mal und die seltsam verbogenen Äste formen sich zu zwei Zeigern. Der kleine steht auf – uuh Moment – zeigt auf die Ziffer drei und – äh der große – ich blinzele noch mal – zeigt auf die elf. Samstagmorgen. Scheiße! Wie war das? Wenn der Alkoholgehalt im Blut sinkt wacht man angeblich auf, weil der Körper Nachschub verlangt. Angeblich. Mein Kör¬per scheint da anderer Meinung zu sein. Durst, und die Zunge wie ein Holz¬brett, Geschmack gleich null. Im Zimmer riecht es wie in einem Tigerkäfig. Irgendwo im Haus entweicht quietschend Luft aus einem Luftballon. Das Baby der Nachbarn! Meine Fresse! Der kleine Schrei¬hals scheint genau zu wissen was mich auf die Palme bringt. Moment Mal – die Nachbarn haben kein Baby! Beide über 80 Jahre alt und stocktaub! Der Ballon scheint der größte jemals aufgeblasene Ballon zu sein und einen unendlichen Luftvorrat zu haben. Jetzt ist es plötz¬lich wieder ruhig. Irgendwo schlägt krachend eine Haustür zu. RRRRRRRRRRRINNNNNG!! RRRRRRRRRRIIIIIIIngeling!! Meine Ohren platzen und ich reiße meine Augen mit einem Ruck weit auf. Meine Türklingel scheint irgendwo direkt neben meinen Ohren den Weltuntergang einzuläuten. Ich drehe mich zur Seite und falle aus dem Bett. Zehn Meter auf allen vieren bis zur Haustür gerobbt -  dauert mindestens ein halbes Jahrhundert. An der Türklinke festhaltend ziehe ich mich in Briefschlitzhöhe, öffne diese und sehe ins dunkle Trep¬penhaus. Ich will gerade den Idioten zur Schnecke machen, der es wagt ... als plötzlich etwas Scharfes gegen mein Nasenbein schlägt. Ich zucke zurück und ein weißes Etwas segelt zu Boden. Ein Brief! Wer kommt eigentlich auf die Idee um drei Uhr morgens Briefe gegen fremde Nasenbeine zu schleudern, frage ich mich, als ich eilige Schritte die Treppe hinunterpoltern höre. Ächzend stehe ich auf und warte im dunklen Wohnungsflur auf die göttliche Eingebung.

Jahrhunderte später starre ich auf einen weißen Umschlag in meinen Händen. „Kaf¬fee“, ist ein Gedanke, der wie eine Leuchtschrift vor meinen inneren Augen blinkt. Mit dem Brief in der Hand gehe ich in die Küche, oder das was ich Küche nenne, wate durch knietiefen Müll aus Pizzaschachteln,  geöffneten leeren Bohnendosen und angebissenen Mangoschalen. Kurz vor der Kaffeemaschine komme ich ins strau¬cheln, als eine hinterhältige glitschige Mangoschale ein Attentat auf mich verübt. Ich kann mich aber noch an der Tischkante festhalten und befördere den feigen und hinterhältigen Exot mit einem Tritt auf die Fensterbank, wo sie nun zusammen mit der inzwischen grünen Orange Komplotte schmieden kann wie sie möchte.
Nachdem ich es nach Stunden schaffe, ohne dass der Filter ständig in sich zusammensinkt, einen annehmbaren Kaffee zu produzieren, sitze ich auf der Bierkiste am Tisch in der Küche und schlürfe meinen Kaffee. Der Brief! Wo ist der Brief? Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf den Boden. Doch nicht etwa... ? Der Mülleimer!
Mit verschmierten Händen stehe ich in der Küche und kann es nicht fassen! Der Brief ist weg!
Hat möglicherweise die fiese Mangoschale zusammen mit der grünen Orange...? Ich schiele ganz vorsichtig zur Fensterbank. Kein Brief. Nachdenklich trinke ich mit zusammengekniffenen Augen den restli¬chen Kaffee aus meiner Snoopy Tasse, stelle sie auf das Brett, dass ich als Anrichte zwischen Gasherd und Kühlschrank vor Jahren fach¬männisch eingebaut hatte, nehme den Kaffeefilter um ihn „zum Ab¬fall“ zu werfen, und da ist er plötzlich, der Brief! Ein wenig braun, aber noch lesbar, steckt er im Filterbehälter. Auch hier fachmänni¬sche Arbeit: Fein zusammengefaltet und hervorragend zum filtern von Kaffee geeignet.





Amazonasregenwald
Das Huamblkriftzutl reckt sich. Seit zwei Stunden ist es jetzt Nacht und er hat immer noch keine Beute gemacht. Aus dem nahen India¬nerdorf kommt ein verführerischer Duft - Menschenfleisch. Er erin¬nert sich noch an die letzte Begegnung mit diesen seltsamen Wesen.
Vor einigen Mondwechseln kurz vor Sonnenaufgang, er saß gerade in seinem Nest hoch oben im Wipfel eines Baumes, als er unten am Bo¬den etwas sehr seltsames beobachtete. Durch sein Revier, direkt unter seinem Baum bewegten sich seltsame längliche Bäume. Sie schienen zwei Stämme zu haben die sich bewegten und oben zusammenliefen. Der Rest sah eher aus wie eine Wucherung, die er schon oft an einigen Baumstämmen beobachten hatte. Langsam ließ er sich am Stamm hinuntergleiten um sich das genauer anzusehen. Auf halber Stamm¬höhe hielt er an. Vorsichtig drehte er seinen Kopf und blickte schräg nach unten.
„He! Manolito! Warte auf mich!“ José schloss mit einer schnellen Handbewegung seinen Hosenstall und beeilte sich seinen Kumpel ein¬zuholen, der nur zehn Meter weiter mit weit ausholenden Schritten durch den Busch pflügte. Hier unter den hohen Bäumen kam man gut voran, kein Unterholz oder Buschwerk behinderte das Fortkommen. „Scheiße José!“ fuhr ihn sein Kumpel an „musst du denn immer so viel pinkeln?“ Er schüttelte seinen Kopf, so dass seine Rastalocken hin und herflogen. Der gut 2 Meter große Indio, muskelbepackt und durchtrainiert fasste die Machete mit beiden Händen und schlug spie¬lerisch in die Richtung seines Compadré. „Der Boss wird dir den Kopf abschlagen, wenn wir wegen dir zu spät kommen“. Grinsend erwi¬derte José: „Von mir aus! Dann kann der Boss aber zusehen wie er an unser Geheimnis kommt.“ Der Gedanke daran ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Keine Fünf Meter über den beiden lief einer Kreatur ebenfalls das Wasser im Mund zusammen. Und weitere fünf Mi¬nuten später lag nur noch eine blutverschmierte Machete auf dem Bo¬den des Waldes, und ein kleiner Josè lief ver¬geblich um sein Leben.
Der Huamblkriftzutl reckt sich. Mit federnden Schritten be¬wegt er sich auf das Dorf zu. Jedes seiner sechs Beine fliegen nur so durch den lockeren Boden.




Husum

Laut vor mich hinfluchend stehe ich da. Den Brief kann ich knicken, denke ich überflüssigerweise, denn er ist ja schon geknickt! Wer weiß, was drinnen stand … Mit einer Hand den Bauchnabel kratzend und in der anderen Hand den Brieffilter hochhaltend gehe ich ins Bad, stol¬pere über meine Schuhe und kann mich noch so gerade eben festhal¬ten um nicht gegen den Wäschetrockner zu knallen. Ich werfe den braunen Dingsbums in die Trocknertrommel. Ich schalte ein. Nix. Nach etwa drei bis vier Ewigkeiten merke ich, dass da sich nichts be¬wegt. Mit beiden Ellenbogen auf dem Gerät abgestützt hole ich mit meinem rechten Fuß aus und trete den Schrotthaufen in Richtung Mond. Ich höre einen tiefen Seufzer und die Trommel dreht sich im¬mer schneller und ich höre einen tierischen Schrei. Bis ich begreife, dass ich es bin, wälze ich mich auch schon im Flur auf dem Boden und verfluche den Tag – ach nein! – den Morgen heute morgen!




Amazonasregenwald

Mit einem entsetzlichen Schrei stürzt sich das Huamblkriftzutl auf das erste Opfer, das es nur am Bein erwischt. Es sieht dem davon humpelnden Wesen nach. Laut schmatzend verschwindet der Fleischfetzen, den er dem Opfer noch aus dem Bein reißen konnte in seinem großen Maul. Überall um ihn herum ist nun lautes Gebrüll und Geschrei. Fackeln werden ent¬zündet. Zwischen den Hütten stehend wartet es auf das nächster Opfer. Das kommt auch schon um die Ecke gelaufen. Die Augen weit offen und eine Fackel mit beiden Händen umfassend, bleibt der alte Mann vor dem unbekannten Tier stehen. Das Huamblkriftzutl schlägt blitzschnell mit beiden Vorderpfoten zu und hat seinen ersten Gang des Abendessens in den nächsten Augenblicken hinunterge¬schlungen. Spielerisch schlägt er gegen eine der Hüttenwände. Von innen kommt lautes Frauengeschrei zur Antwort. Aha, das Dessert wartet schon. Eine schöne Nacht, denkt er sich und er fühlt sich bereits heimisch auf diesem Planeten.

Nach einer Stunde lässt er sich mit vollem Bauch und satt bis zum Übelwerden auf dem großen Versammlungsplatz nieder und leckt sich die Pfoten sauber. Ein tiefes Schnurren aus der Kehle lässt seinen Körper vibrieren.  




Husum

Ein leises Surren schreckt mich hoch. Leck mich am Arsch! Was für ein Traum! Das Surren nimmt kein Ende. Ich drehe den Kopf und sehe drei ziemlich schmutzige Schuhe. Ich drehe den Kopf nach links. Zwei übel stinkende Socken grinsen mich mit großen Löchern an. Also doch kein Traum. Stöhnend richte ich meinen Oberkörper auf. Uh! Etwas Schweres scheint an meinem rechten Fuß zu hängen und ich sehe eine riesige rote Zehe. Leuchtend rot wie ein gekochter Hummerschwanz steht er da und ich frage mich wem der arme Kerl wohl gehören mag. Durch die offene Badezimmertür, jedenfalls da wo eine hätte sein müssen, fällt gelbes Licht auf einen Körper der schon bessere Tage gesehen hat. Aus der Küche heraus riecht es verbrannt und aus dem Schlafzimmer nervt mich der Wecker mit einem höhnischen Surren an. Ich grabsche mir einen der Dreckschuhe und werfe ihn auf gut Glück in Richtung Geräusch, das mit einem Rülpser verstummt.
Meine verklebten Augen stieren eine Zeit lang vor sich hin. Scheiße! Was für ein Traum! Briefe, hinterhältige Tropenfrüchte und Blut, viel Blut rauschen durch meinen vernebelten Kopf. Das mit dem Blut ist selbstredend bildlich gemeint. Real schwimmt mein Körper in einer Suppe aus Alkohol, Nikotin und feinstem Dope. Was für ein Fest gestern! Ich stehe auf und sinke mit einem Seufzer zurück. Doppelte Scheiße! Mein Fuß und mein dicker Zeh! Langsam lichtet sich der Nebel vor meinen Sehschlitzen. Erst jetzt nehme ich das leise Piepen aus dem Bad wahr. Der Trockner. Ich richte mich nun vorsichtiger auf und humpele ins Bad. Erst mal pinkeln ist mein erster Gedanke und setze mich auf die Toilette – stehe wieder auf und öffne den Deckel – setze mich wieder – JAWOHL ich bin ein Sitzpinkler! Als ich mich erleichtert habe, wasche ich mir die Hände – man weiß ja was sich gehört und entnehme der Trocknertrommel einen leicht zerfledderten hellbraunen Umschlag. Auf der Vorderseite klebt keine Briefmarke. Auch eine Adresse fehlt und der Brief scheint sich selber geschrieben zu haben – kein Absender.
Scheiß drauf, denke ich und öffne den Brief mit einer Nagelschere ganz vorsichtig. Mit spitzen und leicht zitternden Fingern ziehe ich ein Bild und einen zusammengefalteten Briefbogen heraus. Das zerknitterte Bild zeigt irgendeine Fantasygestalt – ein wildes Tier mit sechs Beinen. Pah! Wie überaus erfinderisch! Hatten bereits andere die Idee. Ich zum Beispiel. Ein Tier mit sechs Beinen! Direkt aus dem All, eine Bedrohung für die Menschheit! Käpt’n Mc Kanzie rettet die Welt!      
Der Brief selber war nicht in deutscher Sprache abgefasst. Sieht nach italienisch aus oder spanisch oder von mir aus chinesisch. Wer zum großen Kuckuck macht so ein Bohei um drei Uhr morgens nur um mir ein Bild meiner eigenen Erfindung zukommenzulassen, zusammen mit einem Brief den kaum einer in Husum lesen kann?    
Ich besehe mir noch mal das Bild. Ziemlich realistisch. Wie ein Foto. Ist vielleicht auch eines. Mit den Möglichkeiten eines normalen PCs und einer ganz normalen Bildbearbeitungssoftware ist das kein Problem. Auf der Rückseite lese ich eine Adresse. Leicht verschmiert entziffere ich „… Brasilia“ und „ Jens Brückner …“
Klar. Jens bin ich. Aber wieso „Brasilia“ ?
Nützt ja nix. Wie man so sagt. Also nütz ja nix – ich muss erst mal auf die Beine kommen. KDF ist die Devise. Kaffe – Duschen – Frühstück.






Amazonasregenwald

Huamblkriftzutl legt sich in seine Schlafmulde und nach einem tiefen Seufzer zucken nur noch die vier Vorderpfoten und der lange Greifschwanz liegt wie eine eingerollte Schlange neben dem bereits leise grunzenden Tier. Von unten, 40 Meter weiter Richtung Boden, ist nichts zu sehen und zu hören von dem satten Räuber. Die Sonne geht auf und nach einer kurzen Pause, als ob ein neuer Radiosender eingestellt wird, beginnt das Tageskonzert der Tagtiere. Ein neuer Morgen im Amazonasgebiet.

Mehrere Kilometer entfernt summen Moskitos und fette Fliegen um Fleischhaufen herum.

Noch weiter entfernt, schlappe 500 Kilometer in einem sehr schönen Haus, mit Klimaanlage, Alarmanlage und einem kleinen Privatbunker und anderen Spielereien, steht ein kleiner, fetter und schwabbeliger Mann vor dem großen Salonfenster und raucht seine erste Zigarre des Tages. Seine Hosenbeine schlabbern ihm wie Zirkuszelte um die fetten Beine und das blütenweiße Hemd ist schon jetzt verschwitzt. Draußen tragen mehrere Männer große zementsackartige Packen auf ihren Schultern zu einem wartenden LKW. Der beladene Wagen setzt sich mit qualmendem Auspuff in Bewegung und verschwindet im fernen Dunst der talwärts führenden Serpentine. Diese Ausläufer der Anden sind ein besonders schönes Stück Natur, schweifen die Gedanken des Fettwanstes ab. Und ein besonders verstecktes Stück. Aber eines macht ihm Sorgen. Immer weniger Einheimische sind bereit für ihn zu arbeiten. Oh ja – arbeiten schon - aber nicht hier und nicht als Fahrer! Nein Patron! Großes Tier! Menschenfresser, hieß es. Selbst punktuelle Strafmaßnahmen funktionierten in den letzten Wochen nicht.
John B. zuckt verächtlich mit den Mundwinkeln. Er wendet sich ab um die Tagesbefehle an seine Mitarbeiter zu geben. So eine Farm leitet sich schließlich nicht von selber und Millionen Abnehmer in der Welt warten auf sein Spitzenprodukt! Man hat ja noch Berufsehre!    





Husum

Dieses Spitzenprodukt krümelt gerade auf das Zigarettenpapier herunter, das von zwei leicht vergilbten Fingern dann geschickt zu einer kleinen Rolle gedreht wird. Zischend entsteht eine Flamme an einem Streichholz, das kurz an den Joint gehalten wird, und die Glut erwacht knisternd. Jede Menge Stoffe werden frei. Unter anderem einer, der ganz besonders dem Raucher in diesem Moment zu fehlen scheint und ihm neue Kraft gibt. Von der Straße hört er ein Lied, das er seit seiner Jugend kennt. Simon and Garfunkel. Der Raucher geht zum Fenster und schaut mit dem Joint in der Hand hinunter.

Im Husumer Nieselregen steht eine Gruppe junger Männer und dudelt Weiß-der-Henker-zum-wievielten-Mal „El Condor pasa“ auf ihren Riesenpanflöten. Passanten bleiben kurz stehen und schauen den ponchobehängten bei ihrer schweißtreibenden Kunst zu. Einige werfen Münzen in einen durchweichten Gitarrenkoffer und andere gehen kopfschüttelnd in Richtung Marktplatz. Wie kann man nur! Bei so einem Scheißwetter! Stoisch stehen die Künstler aus den Anden vor einem feinen Oberbekleidungsgeschäft und wippen mit ihren Körpern im Takt. Als sie fertig sind, schaut einer der großnasigen Indios genau in seine Augen. Mehrere Augenblicke glotzen sich beide an. Rotgeränderte Sehkugeln treffen auf dunkelbraunen, leicht asiatisch geschnittenen, Augen. Plötzlich hebt einer der vier ein großes Plakat hoch. Eine riesige jaguarähnliche Tierfratze grinst in den Husumer Nieselregenhimmel. Der Raucher dreht sich kurz um und drückt die Zigarette im Aschenbecher aus. Als er sich wieder dem Fenster zuwendet ist die Strasse leer. An der Stelle, wo eben noch die Indios standen hocken nun vier Punks und streiten sich laut um irgendeine Nichtigkeit.







Amazonasgebiet

Die Touristengruppe steht ein wenig unbeholfen vor dem Dorf. Drei junge Männer und drei junge Frauen. Der Gruppenleiter geht mutig, aber doch vorsichtig, mit der Machete in der Hand zum zentralen Platz des Dorfes. Sonst sind die Leute immer zu ihnen heraus gekommen, wenn er mit einer neuen Gruppe hier Rast gemacht hatte, um sie an der Hand führend kichernd ins Dorf zu ziehen Aber die an einer Seite offenen Hütten scheinen leer zu sein. Er kommt an einer vorbei, in der auf dem Boden ein Schwarm fetter, schwarzer Fliegen von etwas angelockt worden zu sein scheint. Ein summender und wimmelnder schwarzer Haufen aus Chitin und regenbogenfarbenen Flügeln. Langsam und zögernd geht er hinein. Ein fürchterlicher Gestank schlägt ihm entgegen und durch seine Bewegungen aufgeschreckt gibt der Schwarm ein Stilleben frei, das dem jungen, europäischen Reisegruppenleiter aus Schweden nie mehr verlassen wird. Etwas fleischiges, unerhört grausig-schönes grinst den Mann an.  Wie unter Hypnose wird er von dem unaussprechlich, ungeheuerlichem angezogen, das da vor ihm auf dem Boden liegt. Unter seinen Füßen entweicht schmatzend eine rote Flüssigkeit. Bei jedem Schritt hat er das Gefühl auf rutschigem Eis zu gehen. Nun steht er davor. Er kann nicht fassen was er da liegen sieht. Plötzlich muss er würgen und er übergibt sich. Mit offenem Mund, weit geöffneten Augen dreht er sich um. Speichel fließt ihm am Kinn hinunter, tropft auf seine Dschungel Boots. Langsam, wie ein Roboter, kehrt er zur Gruppe zurück. Mechanisch einen Schritt vor dem anderen setzend. Er kommt wieder zu sich. Sieht die anderen durch einen Tränenschleier an. Mit einer ausgestreckten Hand deutet er auf das Dorf und will etwas sagen. Aber es kommt kein Ton über seine Lippen. Ein junges Mädchen fasst sich ein Herz und will nun wissen was es da so entsetzliches gibt, und geht mit zügigen Schritten ins Dorf. Laut schreiend stolpert sie Sekunden später, wild mit den Händen fuchtelnd, auf die Gruppe zu.  „Weg! Weg! Wir müssen weg! Oh gottogott!“, schreit sie entsetzt. Erst nach einer Zigarette kann sie stammelnd den anderen erzählen was im Dorf los ist. Mit einem mitleidigenden  Blick auf den Gruppenleiter nimmt sie die Führung in die Hand und beschließt umzukehren, in die nächste Stadt zu gehen und die Polizei zu alarmieren.


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Fortsetzung

Husum

Am Fenster stehend sehe ich auf die Großstraße hinunter. Die Punks sind nun weg und eine Gruppe junger Leute steht nun an der Stelle, von wo aus vor wenigen Minuten mir meine eigene Erfindung entgegen grinste.
Ach! Du bist nur übernächtigt und dir fehlt Schlaf, denke ich mir und gehe ins Arbeitszimmer. Ich fahre den PC hoch und nehme einen tiefen Schluck aus der Kaffeetasse. Ah. Da ist ja mein Schmuckstück. Das Bild das ich öffne ist das Ergebnis einer anderen durchkifften Nacht. Ganz schön fies das Ding. Grinsend sieht mich eine Mischung aus Jaguar, Panther und Schoßkätzchen an. Damit sind aber die Ähnlichkeiten auch schon alle aufgezählt. Ich grinse zurück. Sechs Beine, ein Schwanz so lang wie der Körper, auch zum Greifen geeignet. Aber das Beste! Ich muss mich immer wieder loben. Meine Güte! Das Beste sind die HÄNDE der beiden vorderen Extremitäten. Drei Finger und einen DAUMEN! Dann kommen vier ganz normale Katzenpranken. Ich dachte mir, dass eine Schulterhöhe von 1,80 Meter imposant genug wäre, als ich dieses Tier entwarf. Eine außerirdische Bestie. Geschaffen für den gierigsten Verleger westlich von Treia. Wolfgang Treblinski, dieses größenwahnsinnige Arschloch. In einer 10 Zimmer Villa in der Nähe Husums hausend, scheint er nichts anderes zu tun zu haben als sich zu überlegen, wie er Weltklasseautoren übers Ohr hauen kann. Na! Dem habe ich es gezeigt! Letzte Woche bin ich hin zu ihm und habe ihm das Bild und mein Konzept auf dem blankpolierten Mahagonitisch geknallt. Gut – er war nicht da – aber es hat mir gut getan. Seine Frau, eine aufgedonnerte Promischickse, meinte nur „Na da wird er sich aber freuen, der Wolfgang“. Klar. Wieder eine Gelegenheit mich über den Tisch zu ziehen.
Ich bin dann wieder weg und kaum war ich zuhause kommt der Anruf.
Was soll ich sagen. Blablabla Vertrag blabla sofort loslegen blabla hervorragende Idee bla Alienbestie entvölkert Erde bla und so weiter.
Ich öffne das Textdokument und versuche mich zu entspannen. Hmm – mal sehen wie es weitergeht. Hoppla! Hatte ich schon so viel geschrieben? Na und wenn schon. Umso besser.
Also fangen meine Finger an wie von selbst über die Tastatur zu fliegen …
Leider habe ich noch keinen vernünftigen Namen für meine Kreatur gefunden. Ein richtig schrecklicher, fürchterlicher extraterristisch klingender muss es sein. Momentan heißt es noch „Huamblkriftzutl“. Ja, ja ich weiß! Nicht besonders toll. Wichtig ist ja auch, wie viele Menschen er um die Ecke bringt und das auch noch möglichst so, dass das Blut aus den Seiten tropft. Und Sex muss noch rein! So schreiben meine Hände weiter, während meine Gedanken abschweifen …  




Amazonasregenwald  

Das Huamblkriftzutl bekommt nicht mit, wie eine Gruppe Menschen durch den Wald taumelt. Direkt unter seinem Schlafplatz machen sie Rast, um sich auszuruhen. Ein junger Mann versucht mit seinem Handy zu telefonieren. Als er zum drittenmal auf dem Display lesen muss, dass ein Empfang nicht möglich sei, schmeißt er das Relikt einer modernen Gesellschaft hinter sich in den Regenwald, wo es in einem Tümpel schmatzend versinkt. Erschöpft machen sie sich, nach einer kurzen Verschnaufpause, wieder stolpernd auf den Weg.
Als sie auf eine Lichtung stoßen, sehen sie eine braun verschmierte Machete auf dem Boden liegen. Weiße Knochen liegen verstreut zwischen Stofffetzen und jungen, sprießenden Pflanzen. Etwas abseits, halb von fetten Tropenpflanzen überwuchert, finden sie einen höhnisch grinsenden Menschenschädel. Völlig hysterisch fliehen die Reisenden weiter. Immer tiefer in den Regenwald. Manchmal bergab und meistens bergauf.

Stolpernd erreichen sie nach Stunden eine breite, rote Schotterpiste. Ziemlich unentschlossen stehen sie auf der Strasse und sehen sich nach beiden Seiten um. Nach kurzer Debatte entschließen sie sich in Richtung Westen weiter zu gehen.
Nach einer weiteren Stunde auf der staubigen Piste stoßen sie auf ein wackeliges Häuschen, eher ein Bretterverschlag und kaum größer als eine Garage eines europäischen Mittelklassewagens. Ein schiefer Holzmast steht außen an der Bude, von dem dicke Kabel ins Hausinnere abgehen. Scheinbar so eine Art Poststation für die umliegenden Dörfer. Vielleicht auch so was wie ein Amazonas Truck Stop. Denn innen stehen, auf einer verschmierten Theke, säuberlich aufgereiht mehrere Bierflaschen. Hinter der Theke wacht eine klapperdürre schwarze Gestalt vermutlich darüber, dass niemand auf die Idee kommt die verdreckten Gläser zu reinigen. Die Gestalt entpuppt sich als Greis, der die Besucher argwöhnisch mustert. Die selbst ernannte Anführerin spricht kurz mit dem Mann und telefoniert dann mehrere Minuten. Kurz kramt sie in einer der Hosentaschen und knallt einige Münzen auf die Thekenbretter.    




Husum

So ein Mist. Heute will mir die Geschichte nicht so recht von der Hand. Ich lese das Geschriebene. Meine Güte und heilige Scheiße! Wo bleibt da der Sex? Drei Frauen, jung und knackig! Heißer, dampfender Regenwald! Da muss es doch richtig zur Sache gehen!
Seufzend stehe ich auf und mein Blick  fällt im inzwischen fast dunkel gewordenen Arbeitszimmer auf den Brief. Ach, den habe ich ganz vergessen. Ich hebe ihn auf und versuche ihn im Schein der Schreibtischlampe zu entziffern. Ich möchte doch zu gerne wissen, wer ein Bild meines Huamblkriftzutl mir per Bote zustellt. Das kommt mir reichlich spanisch vor … MOMENT. Das ist spanisch auf dem Brief. Ich kenne jemand, der wahrscheinlich spanisch kann.

Eine halbe Stunde später bin ich schlauer. Meine gute, alte Freundin Barbara, bei einer Fluggesellschaft in Hamburg angestellt, kann mir weiterhelfen. Nachdem ich ihr die ersten Wörter aus dem Brief vorbuchstabiert hatte, sagte sie, ich solle den Quatsch lassen und ihr den Wisch zufaxen.


Ich reiße also die Antwort aus dem Schlitz und halte nun die Antwort meiner Fragen und überhaupt des Lebens in den Händen. Sie lautet nicht „42“. Wäre ja auch zu schön und gar nicht passend zu meiner Frage gewesen.
Dort steht:

„Hi du Penner, es ist portugiesisch .., nur mal so …“ und dann:

„Sehr geehrter Herr!
Sie kennen mich nicht. Dafür kenne ich Sie umso besser! Über Umwege habe ich erfahren, dass Sie an einer Geschichte schreiben, in der viele in meinem Land verstrickt sind.
Es hört sich vielleicht reichlich an den Haaren herbeigezogen an, aber ich weiß, dass Sie verantwortlich sind für den Tod vieler Menschen. Ich bitte Sie inständig! Hören Sie auf damit!
Als Beweis, dass ich keinen Blödsinn schreibe, lege ich ein Bild zum Brief. Versuchen Sie nicht herauszubekommen wer ich bin und wie ich davon erfahren habe. Es könnte für uns beide tödlich enden! Diese Bestie, die Sie geschaffen haben findet uns überall auf der Welt.
Bitte glauben Sie mir! Es ist kein wirres Zeug!
Hören Sie auf zu schreiben!

Grüße
A. Migo

„Was soll das? Hört sich nach schlechtem Stoff an. Hör auf zu kiffen.
Trotzdem liebe Grüße

Barbara!



PS
Oben auf dem Briefkopf steht der Name eines Hotels in Brasilia. Hotel Melio oder Melia oder so – war total verschmiert. Haste ne Freundin da?“  

Mein Magen knurrt auf einmal und ich merke, dass ich heute noch nichts Vernünftiges gegessen habe. Außer dem vertrockneten Brötchen mit Butter und Marmelade, sowie dem briefgefilterten Kaffee heute Morgen, gab es nichts. Aber es müssen Wochen her sein, so wie mein Magen knurrt.
Ich schnappe mir also das Telefon und rufe einen Pizzaservice an. Gerade als ich mir einen Joint reingezogen habe, klingelt es an der Tür. Ah! Mein Essen, denke ich und ehe ich auch nur den Türgriff in der Hand habe, fetzt mir die Wohnungstür um die Ohren!




Amazonaswald

Das Huamblkriftzutl schreckt hoch. Ein weit entferntes Flappen dringt an seine empfindlichen Ohren. Aber das war es nicht, das ihn geweckt hatte. Etwas scharfes Lautes in seinem Kopf hallte immer noch nach.
Das Flappen wird lauter und lauter. Ach, nur eines dieser seltsamen Dinger, von denen er schon mehrere gesehen hatte. Oben scheint ein Rotor zu sein, der das Fluggerät in der Luft hält. Ziemlich rückständig das Ganze, denkt er. Das Ding entfernt sich nun. Wird leiser und leiser. Seltsam, aber es hört nicht auf. Ganz in der Nähe scheint es an einer Stelle zu verharren. Seltsamer Traum! Erstaunt darüber, dass er so wirres Zeugs träumen kann, denkt es an seinen letzten, aus dem ihn das Flugding herausriss. Irgendwas von einer braunen Flüssigkeit, Briefe und Explosionen. Leicht irritiert fragt er sich noch, was zum großen Ukrlopztl eine Pizza sei, und ist im nächsten Moment auch schon wieder eingeschlafen.









Husum

Mit einem Klingeln im Ohr komme ich zu mir. Farbige Galaxien kreisen in Wirbeln vor meinen Augen herum und explodieren in Millionen kleiner Lichtkaskaden. Heilige Scheiße! Ich drehe meinen Kopf. Heißer Schmerz jagt mir den Rücken herunter. Nachdem nun mein privates Universum frei von Galaxien ist, sehe ich eine Gestalt im Hintergrund. Mit schnellen Bewegungen hantiert sie in meiner Wohnung herum, läuft hierhin und dorthin und veranstaltet einen Lärm als ob Möbel verschoben werden. Schnell schließe ich meine Augen als dieser Jemand in meine Richtung blickt. Ich höre Schritte an meinem Kopf vorbeigehen. Dann verschwinden die Geräusche und ich versinke in ein tiefes schwarzes Loch.






Amazonasregenwald

Das Huamblkriftzutl erwacht. Um ihn herum die Nachtgeräusche des Regenwaldes. Etwas anderes, das nicht hierher gehört, mischt sich darunter. Ein tiefes Dröhnen, das den Baum erzittern lässt. Knistern, Knirschen und Knacken begleitet dieses tiefe Brummen und Dröhnen. Schnell gleitet der Alien am Stamm herunter und schnüffelt in alle Richtungen.
Der Geruch nach Verbranntem lässt instinktiv seine Krallen ausfahren. Gefahr! Er hat sich allerdings so weit unter Kontrolle, nicht sofort die Flucht zu ergreifen, sondern langsam in Richtung der Gefahr zu schleichen. Schließlich bin ich nicht durchs halbe Weltall geflogen um hier eine Bruchlandung hinzulegen und dann mich von Erdlingen vertreiben zu lassen, denkt es grimmig. Es ist sowieso nur noch eine Frage der Zeit bis meine Gefährten kommen, um mich hier von diesem Planeten zu holen, macht er sich selber Mut. Ihm ist trotz seiner Überlegenheit gegenüber den Menschen klar, dass es irgendwann eine direkte Konfrontation geben würde. Es würde zum Kampf kommen, mit Vertretern dieser Spezies, die nicht so leicht zu besiegen sein werden, wie seine letzten Opfer.
Langsam wird es deutlicher, was den Lärm vor ihm veranstaltet. Taghell breitet sich eine Lichtung, von hellen Scheinwerfern erleuchtet, vor ihm aus. Eine große, schwere Maschine mit vier großen Reifen, dröhnt so laut, dass die Geräusche des Waldes verstummt sind. Nicht so groß wie sein Zueliej, das ihm während seiner Reise durch die Weiten des Alls seine Heimat war und nun auf einem Berg zerschmettert liegt, aber immerhin hätte er den Menschen so etwas nicht zugetraut. Dieses Ding hat vorne einen Greifarm, welcher einen Baumstamm im Griff hat, vorne an der Maschine erscheint eine rotierende Scheibe, die mit einem Kreischen durch den Stamm schneidet.  Als die Scheibe halb durch den Stamm ist, gibt der Greifarm dem Baum einen leichten Schubs. Krachend und knirschend kippt der Urwaldriese um. Kaum liegt er auf dem Boden, ergreift der Arm einen neuen Stamm.
Langsam, einen großen Bogen beschreibend, geht das Huamblkriftzutl um die Lichtung herum. Plötzlich ist Ruhe im Wald.

Grelle Lichtstrahlen prallen plötzlich von allen Seiten auf ihn ein, und er steht wie auf einer Bühne im Spotlicht! Panik steigt in ihm auf! Sämtliche Körperhaare stellen sich auf. Die beiden Herzen in seiner Brust  arbeiten auf Hochtouren. Krallen werden ausgefahren. Der Oberkörper erhebt sich. Beide vordere Pranken sind zu Fäusten geballt. Eine Falle! Aber nicht mit mir, sind seine Gedanken, als etwas seinen Körper in blutige Fetzen zerreißt.  










Husum

Nasskalter Wind treibt die letzten Besucher des Wochenmarktes nach Hause. Stände werden abgebaut und das Chaos der abfahrenden Transits, Ducatos und Transporter lichtet sich allmählich. Eine Kombo aus Bolivien spielt die letzten Takte von „El Condor pasa“ und im dritten Stock, im Haus gegenüber, erwacht ein Mensch.

Heilige Scheiße! denkt Jens. Was für ein Traum! Als er sich vom staubigen Flurboden erhebt, fällt sein Blick auf etwas Nassem in seiner Hand. Angewidert lässt er es fallen. Wie es hier aussieht! Müsste mal wieder aufgeräumt werden. Und wie es stinkt! Wie in einem Tigerkäfig!
Im Auffangkorb des Faxgerätes liegt ein Papierbogen. Mit halbgeschlossenen Augen grabscht er danach. Äh, was ist das? Das Bild eines zerfetzten Tierkörpers. Zwar in schwarz/weiß, aber trotzdem ziemlich deutlich. Innerlich stöhnend zerreißt Jens das Blatt.
Tierschützer, denkt er und wirft die Schnipsel in den Papierkorb. Keinen Bedarf. Aber, etwas regt sich bei der Erinnerung an dem Tierkadaver auf dem Bild. Ach egal. Mit einem Riesengähnen geht er in die Küche. Ach nein. Erst muss er seine Mails abrufen, geht es ihm durch den Kopf.
Als er sich eingeloggt hat und die erste Mail seines Verlegers liest, sinkt seine Laune: „Muss ich leider … blablabla ablehnen, weil … blablabla die Leser wollen … blubb blubb… „ und so weiter. „Aliens sind nicht im Trend … blubb. Schreiben Sie doch mal einen Krimi…“
Schade, denkt Jens, dann kann ich die Bilddatei ja auch gleich löschen. Und er löscht die Textdatei „Huamblkriftzutl“.

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