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Der Haubarg


Als Gabriele mit ihrem kleinen Wagen die kurze Auffahrt der Warft hinauffuhr und dann der wuchtige Bau des Hauses vor ihr stand, verliebte sie sich sofort in den Haubarg. Groß und majestätisch thronte der weiße, reetgedeckte Klotz oben auf dem Hügel. Ringsherum die weite Landschaft Nordfrieslands, über der wie eine Decke ausgebreitet der blaue Himmel und ein paar Wölkchen lagen. Weit verstreut, fast am Horizont, konnte man vereinzelt Nachbargehöfte erkennen. Auf den Wiesen standen Schafe, Kühe und einige Pferde. Schwalben flitzen durch den kleinen, gepflegten Garten des Hauses, in dem Obstbäume, bereits jetzt im August erkennbar mit einer schweren Last zu kämpfen hatten. Vor dem  Haus standen die typischen Staudenpflanzen und Blumen eines Bauerngartens und verschwendeten ihre leuchtende Pracht. Ein schmaler Weg führte zur Ostseite wo eine wunderschön geschnitzte und verzierte Haustür den neuen Besitzer willkommen hieß.

Gabriele stieg seufzend aus und wurde sofort von der Hitze fast umgehauen. „Puh!“ machte sie, schüttelte ihre langen blonden Haare, zupfte an ihrer Bluse, die nun bereits die ersten Schweißtropfen aufsog. Sie holte ihre Tasche aus dem Kofferraum und ging zum Eingang. Auf Zehenspitzen stehend tastete sie in den spitzen Enden der Reetdachkante herum und fand den Schlüssel. Sie schloss auf und betrat eine lang gestreckte, kühle Diele, die etwas muffig roch. Der Terrazzoboden strahlte eine angenehme Kühle aus, die nach der feucht-heißen Luft draußen wie eine natürliche Klimaanlage wirkte. Alles in Blau-, Weiß und hellen Grüntönen gehalten. Die niedrige Decke, der man das Alter durchaus ansah war in einem freundlichen gedeckten Weiß gestrichen. An den Wänden standen uralte rustikale Schränke. Insgesamt gingen fünf Türen vom Flur aus in andere Zimmer.. Sie betrat Haus und schloss die Haustür.

Als erstes sollte ich mal aufs Klo, dachte sie und machte die erste Tür links auf. Aha, Wohnzimmer. Rechte Tür auf, oh! Die Küche. Links hinten war ein Schlafzimmer, rechts hinten endlich das Bad. Nachdem sie sich ein wenig frisch gemacht hatte, holte sie ihre Tasche und packte im Schlafzimmer ihre Sachen in den großen, viel zu großen, Schrank. Und warf sich auf das frisch bezogene Doppelbett. Oben an der Decke seilte sich gerade eine fette Spinne ab. Na das geht ja gut los, dachte sie, schnappte sich das Biest mit der hohlen Hand und warf den Achtfüßler aus dem Fenster. Spinnen mache ihr nicht aus, nur im Haus hätten sie nichts zu suchen, sagte sie immer mit erhobenem Zeigefinger bevor sie das Tier hinausbeförderte.

Dann ging sie in die Küche und sah sich dort um. Ganz  modern ausgestattet. Anerkennend den Mund verziehend stöberte sie in den Schränken herum. ÄH! Da hatte jemand vergessen altes Brot wegzuwerfen. Sofort nahm sie den grünen Haufen und warf ihn in den Mülleimer. Aber sonst alles pikobello! Kaffee – schoss es ihr durch den Kopf. Wäre nicht schlecht.

Sie fand sämtliche Utensilien in der Küche und ging dann mit der dampfenden Kaffeetasse ins Wohnzimmer. Helle freundliche Farben dominierten hier, wie überall im Haus. Bequeme Ledersessel standen auf dem blank polierten Holzboden. Ansonsten sah es aus wie in einem völlig normalen modernen Wohnzimmer. Ein großer flacher Fernseher dominierte das Zimmer. Daneben eine teuer aussehende Stereoanlage, mit allem Komfort den die Technik der Unterhaltungsindustrie zu bieten hatte. Aus dem riesigen Fenster auf der Südseite, das fast bis zum Boden herunterging, hatte man, trotz der Bäume, die als Sonnen- und Windschutz den Haubarg umgaben,  eine phantastische Aussicht auf die weite Landschaft Eiderstedts. Wie meistens in Nordfriesland üblich verzichtete man auch hier auf Gardinen. In weiter Ferne sah sie, versteckt hinter riesigen Bäumen einen einsamen Bauerhof. Mit der Tasse in der Hand streunte sie durch Zimmer und fand eine Tür ins Schlafzimmer. Vom Schlafzimmer aus ging sie dann in den langen Flur des Hauses.  Linker Hand gab es eine Tür auf der „privat“ zu lesen war. Neugierig probierte sie trotzdem aus, ob die Tür verschlossen war. Sie drückte den verschnörkelten Griff herunter und drückte probeweise gegen die Tür. Sie ließ sich öffnen.

Vorsichtig lugte sie in den halbdunklen Raum. Eine scheinbar uralte hölzerne Treppe führte ins obere Stockwerk. Etwas links sah sie eine weitere Tür. Unsicher blieb sie stehen und trank in kleinen Schlucken ihren Kaffee. Wahrscheinlich, dachte sie, geht es da hinten in den ehemaligen Stall. Ihr schlechtes Gewissen ließ sie die Tür wieder schließen. Sie ging in die Küche und stellte die Tasse in die Spülmaschine. Sie gähnte herzhaft und sah aus dem Küchenfenster hinaus. Unter der Warft verlief die Strasse auf der sie von Garding gekommen war. Eine kleine schmale Strasse auf der gerade mal knapp zwei Autos nebeneinander passten. Nach rechts schlängelte sie sich in Richtung Bundesstrasse 5 nach Husum. Weit entfernt hörte sie einen Zug tuten, der nach einer Weile in der Ferne als Blau-weiße Riesenraupe durch die Landschaft zuckelte. Sonst gab es nichts Aufregendes zu sehen. Aber das war auch ganz gut so, dachte Gabi, wie ihre Freunde in Hamburg sie nannten. Schließlich war sie hier um sich zu erholen. Drei Wochen nur Nichtstun, mit dem Rad durch die Gegend fahren und vielleicht mal in der Nordsee schwimmen gehen. Föhr oder Amrum sollen ja ganz schön sein, wie man ihr im Reisebüro, vorgeschwärmt hatte.

Sie musste einfach mal raus aus Hamburg. Sonst fuhr sie gewohnheitsmäßig immer mit Freunden nach Spanien in den Urlaub. Aber dieses Mal hatte sie echt keine Lust auf Barbara, Kathrin und Eve. Manchmal kam der eine oder andere Kollege aus dem Büro mit. Sie stöhnte innerlich auf, als sie an den zudringlichen Tom dachte, der im letzten Sommer mitfahren durfte. So ein dämlicher Arsch, dachte sie. Ständig um sie herumschwänzelnd und ihr ständig in den Ohren liegend was er für ein toller Kerl wäre! Dabei hatte sie ihm ganz klar gesagt, dass sie in festen Händen sei. Aber nein! „Oh Gabi sieh mal hier!“ und das ständige Lass-mal-stecken-ich-mach-das-schon-Gehabe in den Kneipen!

In festen Händen war sie nun auch nicht mehr, seit sie Hans letzte Woche verlassen hatte. Zwei Jahre weggeworfen, wegen so einer Schlampe aus der Buchhaltung! Das war auch der Grund, dass sie kurzfristig Urlaub genommen hatte und das erstbeste Angebot des Verkäufers im Reisebüro annahm. Einfach den ganzen Scheiß hinter sich lassen!

So war sie dann in ihr Auto gesprungen und hier gelandet. Zuerst bereute sie es während der Fahrt, aber jetzt hier in der kühlen Küche stehend dachte sie, dass es das Beste war was sie tun konnte. So stand sie lange am Fenster, sah hinaus und entspannte sich langsam, während draußen die Schwalben ihre Kapriolen schlugen und langsam die Wolken vorbeizogen und es Abend wurde.


In dieser Nacht schlief sie wie ein Stein. Als sie am nächsten Morgen die Augen aufschlug, musste sie sich einen Moment besinnen. Neben ihr auf dem kleinen Schränkchen zeigte ihr der Reisewecker, dass es kurz nach neun Uhr war. Am Fenster klopften irgendwelche Zuschauer Beifall. Langsam wurde die Umgebung deutlicher und die Beifall klatschenden Zuschauer entpuppten sich als heftiger Regenschauer, der gegen das Schlafzimmerfenster rauschte. Mit einem Ruck stieß sie die Decke von sich und stieg aus dem viel zu großen Bett, das scheinbar für zwei Menschen gedacht war. Gähnend schlurfte sie in Richtung Küche, über den jetzt kalten Flur, den Bademantel um ihre Schultern ziehend.

Als plötzlich ein lautes Geräusch sie herumfahren ließ! Es kam aus Richtung der Tür, die zum privaten Teil des Hauses führte. Sie stand einige lange, stille Sekunden im Halbdunkel. Dann polterte es wieder hinter der Tür, als ob jemand etwas sehr schweres die Treppe hoch zerrte. Dann war es still. Leise schlich sie zur Tür. Vorsichtig und ganz langsam, drückte sie die knarrende Klinke herunter und versuchte die Tür zu öffnen. Sie war zu und ließ sich nicht bewegen! Seltsam, dachte sie, und ging, die Tür im Auge behaltend, zur Küche.
Eigentlich geht mich das ja auch nichts an, wenn der Besitzer im privaten Teil herumwerkelte, dachte sie während sie Kaffe aufsetzte, Marmelade, Butter und altbackene Brötchen auf den kleinen Tisch trug und sich setzte.
Draußen ging gerade die Welt unter. Dunkle, tiefstehende Wolken zogen drohend vorbei. Bäume bogen sich unter dem Druck der Gewitterböen und ein Regenvorhang verhängte die Sicht in die Ferne. Auf der Strasse kam ein gelbes Auto in Sicht, das sich dem Haubarg näherte. Nach etwa 15 Minuten hielt mit quietschenden Bremsen ein kleines gelbes. Ein kleiner, drahtiger Mann sprang heraus und rannte die Warft hoch, schmiss einen Packen Briefe in den Briefkasten und rannte zurück als gelte es einen Weltrekord zu brechen. Gabriele musste leicht grinsen, als sie sah, wie er ins straucheln geriet und beinahe das Gleichgewicht auf dem Hang verlor. Uh, dachte sie amüsiert, das gibt Abzüge in der B-Note!
Mit quietschenden Reifen preschte das Postauto davon. Laut schlürfend trank sie ihren Kaffee, der ein bisschen seltsam schmeckte und sah in die graue Landschaft hinaus. Dass sie nicht, wie sonst üblich morgens, das Radio in der Küche anhatte merkte sie als sie den Honig in den Schrank stellte. Seltsam, dachte sie, was eine ruhige Nacht so ausmacht. Auch sonst schien sie ruhiger zu sein als sonst. Irgendwie war dieser Morgen anders als an andere Urlaubs -Morgen.

Dann ging sie ins Bad und nahm sich für alles ein wenig mehr Zeit. Das Schminken ersparte sie sich. Sieht mich ja eh niemand. Außerdem bin ich inkognito hier, dachte sie und zog ihrem Spiegelbild eine Grimmasse. Ein anderer Teil in ihr zog missbilligend für diese Albernheit eine imaginäre Augenbraue hoch.
Nach einer dreiviertel Stunde war sie mit der Morgentoilette fertig. Sicherheitshalber zog sie ihren Morgenmantel an und ging schnell, mit einem kurzen Blick zur geheimnisvollen Tür, ins Schlafzimmer.
Während sie sich anzog, sie entschied sich heute für ein legeres Outfit mit Jeans und karierter Bluse, kam aus dem Zimmer über ihr ein seltsames Geräusch. Als ob jemand einen schweren harten Gegenstand über den Boden zog. Auf der einen Seite  des Raumes nahm das kratzende Geräusch seinen Anfang und zog sich bis zur Fensterseite hin, wo mit einem lauten Knall etwas auf dem Boden fiel. Dann wummerte ein leises tiefes Bassgeräusch durch das Haus.
Besorgt sah Gabriele nach oben. Hauptsache der Vermieter geht mir nun nicht ständig mit dem Lärm auf die Nerven, dachte sie, als sie noch einmal im Spiegel ihr Äußeres musterte. Seufzend besah sie  sich ihre Falten in den Augenwinkeln und rieb daran herum und zog sich eine Schnute.

Nun zu Allem bereit ging sie ins Wohnzimmer. Mit einer Tasse frischen Kaffee in der einen Hand und einem Prospekt des Multimar-Wattforums in der anderen, saß sie in einem der bequemen Sessel und las sich durch was es dort zu sehen gab. Als Hamburgerin zwar räumlich nahe wohnend, hatte sie aber trotzdem recht selten die Westküste bereist. Maximal einmal im Jahr fuhr sie nach Sylt, aber auch nur deshalb weil  ihr Ex ein begnadeter Surfer war. Nun wird es wohl nichts mehr, dachte sie wehmütig an die schönen Zeiten mit Hans denkend. Träumend sah sie aus dem Fenster des Wohnzimmers. Irgendwie war alles heute verschwommen und weit weg. Sie konnte die Landschaft nur wie durch einen Regenschleier erkennen. Sie stierte so lange auf einen Baum, dass sie meinte seine Umrisse verschwömmen.
Ach komm, sagte sie zu sich, auf nach Tönning! Sie raffte sich auf und ging zur Garderobe, zog ihren Regenmantel an, hängte ihre Tasche um und ging aus dem Haus.

Draußen empfing sie ein würziger Geruch nach Dung und Salzluft. Der Regen hatte inzwischen fast nachgelassen und die Wolkendecke lichtete sich bereits an einigen Stellen. Kalt war es nicht gerade, aber sie war froh den Regenmantel anzuhaben.
Im Wagen, sah sie noch einmal nach ob sie alles dabei hatte, Geld, Ausweis, Schminkspiegel, einen Labello, Taschentücher (Hans, fiel ihr ein, hatte NIE welche dabei) und anderen Kram, den sie ständig brauchte bzw. dabei hatte falls man es brauchte.
Im Rückspiegel sah sie im oberen Stockwerk Licht brennen und eine Gestalt hin- und herlaufen. Kurz ging eine Gardine beiseite und ein Männergesicht wurde sichtbar. Gepflegter Bart, Brille und ein hellblaues Hemd, war alles was Gabriele sehen konnte.
Ihr stockte der Atem! Hans!?  Genauso schnell war das Gesicht wieder weg. Sie sah sich schnell um und konnte gerade noch durch die Heckscheibe sehen wie das Licht ausging. Ihr Herz raste. Meine Güte, dachte sie, das war Hans! Sie war lange genug mit ihm zusammen gewesen um ihn sofort wiederzuerkennen. Das war keine Halluzination, redete sie sich ein. Kurz entschlossen stieg sie wieder aus. Etwas unschlüssig stand sie vor der Haustür und spielte mit dem Schlüssel in der Hand. Und wenn alles nur ein Versehen war, wenn sie sich getäuscht hatte?
Die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Plötzlich ging mit einem Ruck die Haustür auf und Hans stand vor ihr. Hans! Etwas ratlos sah er sie an und sagte: „Hallo! Moin! Schön, dass wir uns mal kennen lernen. Ich bin Ole. Ole Hansen. Mir gehört der Klotz, auch Haubarg genannt.“ Mit einem breiten Grinsen schob er ihr eine gepflegte, aber doch kräftige Hand entgegen.
Gabriele war wie vor dem Kopf gestoßen. Das war  Hans - oder? Die Stimme war die gleiche, die Kleidung, (typisch für Hans: verknautschte Jeans und gebügeltes Oberhemd!) nur die Stimme hatte eine andere Klangfarbe. Eher norddeutsch, mit rollendem „R“. Mit großen Augen sah sie ihn an. Er hielt ihr immer noch seine rechte Hand entgegen, die nun merklich absank. „Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Ich meine - der Krach vorhin war wirklich keine Absicht und äh … tja,“ nun kam er ins stottern, „also wenn es Ihnen nichts ausmacht“…, er nahm nun die Hand herunter. „Ach! Macht doch nichts“, hörte sie sich sagen, während sie dachte, dass es sein Zwillingsbruder sein muss. Alles war perfekt wie Hans, bis auf die Stimme. Und er roch eindeutig besser, sagte sie sich. „Tja…ähm … also Gabriele Wendland“ und sie reichte ihm nun ihrerseits etwas linkisch die Hand.
Verdammt! Das stehe ich vor dem Spiegelbild meines Ex und benehme mich wie ein Teenager, schalt sie sich. Hansen nahm ihre Hand und schüttelte sie kurz aber kräftig, gerade mit dem nötigen Druck, um nicht überheblich zu wirken. So standen sie eine Weile und sahen sich an.
„Tja, also ich will Sie nicht aufhalten. Ich sah Sie nur eben hinausgehen“, sagte Hansen „und dachte mir, sie hätten ein Problem mit Ihrem Wagen.“
„Nein, nein ich wollte nur noch was holen. Mein Handy.“ log sie und merkte dass sie rot wurde. Er machte einen Schritt zur Seite „Bitte sehr. Sie sind ja hier zu Hause“ sagte er und machte eine einladende Handbewegung. Als sie an ihm vorbeiging und ihm in die Augen sah wurde ihr ein wenig mulmig. Meine Güte! Welche Ähnlichkeit!
Mit einem kleinen Lächeln sagte er „Jaja, das Handy! Was würden wir ohne diese Dinge sein!“ Das einzige das ihr als Erwiderung einfiel war ein dümmliches Grinsen und ein „Sind wir nicht alle handyabhängig?“ „Ich nicht“, sagte er und fügte hinzu „bis es Handys gab, haben die Leute doch auch normal leben können, oder?“
„Tja so ist das wohl“ sagte sie etwas unbeholfen und öffnete die Schlafzimmertür „aber ich möchte Sie nicht aufhalten Herr Hansen.“ „Ach wissen Sie, ich  habe auch im Moment Urlaub und deshalb jede Menge Zeit.“
Was wird das hier, dachte sie erstaunt, ich flirte hier mit einem der aussieht wie Hans und doch nicht Hans ist? Hansen schloss nun die Haustür und ging an ihr vorbei zur Verbindungstür zum privaten Teil des Hauses „Wenn Sie etwas benötigen, können Sie gerne oben anrufen. Leider habe ich kein Handy“ (bei ihm klang das wie „Hand, die“) und er deutete auf das altertümliche Telefon mit Wählscheibe, das auf der Flurkommode stand, scheinbar direkt aus den 70er Jahren importiert. Lindgrün mit weißem Kabel. „Meine Nummer steht da auf dem Zettel auf der Pinwand“, sagte er lächelnd und fügte hinzu „dann noch mal: Herzlich Willkommen und Entschuldigung  für den Krach heute morgen“. Leise zog er die Tür hinter sich zu und zurück blieb ein Hauch von seinem Duft in der Luft.
Gabriele musste sich erst mal an der Schlafzimmertür anlehnen und kräftig durchatmen. Uff! Meine Güte, was für ein Mann, dachte sie. Erst nach mehreren Augenblicken raffte sie sich auf und ging wieder hinaus.
Sie stieg in ihr Auto und drehte den Zündschlüssel herum. Klack! Oh nein! Sie stöhnte innerlich auf. Nur die Ruhe, sagte sie sich, es ist nichts. Es machte wieder nur „Klack“. So ein Mist! Leicht genervt stieg sie aus und sah ihren kleinen Wagen nicht gerade freundlich an. So, sagte sie sich, und nun? Es wird doch wohl eine Werkstatt hier irgendwo sein. Sie sah sich um und war sich bewusst in welcher Gegend sie hier war. Plötzlich schien sie ihr nicht mehr so toll zu sein. Die nächste ist bestimmt in Garding und wie soll ich da hinkommen?

Egal erst mal eine Werkstatt anrufen, ermunterte sie sich selber, und dann wird jemand kommen der das Ding wieder flott bekommt. Sie ging wieder hinein und suchte im Telefonbuch nach einer Werkstatt. Seltsam. Was ist das für ein Telefonbuch, fragte sie sich als sie die Namen und Orte sah. In dem Buch gab es kein Garding. Aber auch keine Autoreparaturwerkstatt! Stattdessen las sie Firmennamen wie „Holgers Instandsetzungen von Solomobilen“ oder „Schröder macht den Gaso flott“. Auch die Namen! Seltsame wie „Heintzinger“, Ohlsensohn, Nomensohn, Hederssohn und so weiter. Alles Namen die ihr irgendwie bekannt waren, aber irgendwie nicht so wirklich. Auch die Schrift wich etwas von der ihr bekannten ab. Da sie sich mit Schrifttypen auskannte, sah sie sofort, dass sie anders war. Auch waren die gelben Seiten nicht Gelb, sondern Rosa. Wenn man dem Cover des Telefonbuches Glauben schenkte, war es das für Bullsum, Kadding, Warfthausen und Hillinger-Watt. Aber wo war das für Eiderstedt und Garding? Außen auf dem Cover sah man die Umrisse einer Küste, die keine Ähnlichkeit mit der von Eiderstedt aufwies. Sylt konnte man eben noch erkennen. Aber alles andere war ihr völlig unbekannt! Ihr schwindelte. Nur die Ruhe, sagte sie sich.
Plötzlich ging hinter ihr eine Tür auf. Hansen stand da in der offenen Tür und sah sie mitleidig an. Langsam ging er zu Gabriele.
„Probleme?“, fragte er. Aber irgendwie schien er die Antwort zu kennen, glaubte Gabriele zu erkennen. „Mein Wagen springt nicht an. Und nun wollte ich eine Werkstatt anrufen. Aber scheinbar gibt es hier nicht das richtige Telefonbuch.“, sagte sie und hielt es in die Luft. „Oh, das tut mir leid. Meine Schuld.“ sagte Hansen mit einem Hauch Mitgefühl. „Weiter unten liegt das richtige. Hier bitte“ und er gab ihr ein gelbes dünnes Heftchen. Gabi hielt noch immer das rosa Buch in der einen Hand. „Woher kommt das denn?“ fragte sie interessiert. „Och – das hat das Filmteam wohl hier gelassen. Letzte Woche wurde hier ein Film gedreht. Soll nächstes Jahr in die Kinos kommen.“ erzählte er ihr etwas zerstreut und nahm ihr das falsche Buch aus der Hand. Er hatte es auf einmal sehr eilig und mit einem „Bis denn!“ rannte er förmlich zur Tür und sie hörte wie er eilig die Treppe hochging.
Na, das ist mir ja einer! Gabi schlug das gelbe Buch auf und fand auch sofort eine Werkstatt in der Nähe. Sie wählte und eine Stimme meldete sich sofort nach dem ersten Klingelton: “Hier  Sörensohn?“. Wieso hört sich eigentlich jeder, der sich am anderen Ende meldet an wie ein Fragesteller, dachte Gabi. „Ja – äh ist da nicht die BMW Werkstatt in Garding?“ fragte sie erstaunt. „Nein was ist das?“ kam die Rückfrage. „BMW“, sagte Gabi „ein Auto. Also hören Sie, bin ich mit der Werkstatt Meier und Sohn verbunden?“ „Nein“, kam die knappe Antwort und es wurde aufgelegt. Komische Leute hier, seufzend legte sie auf  wählte noch einmal.
Plötzlich wurde es über ihr sehr laut. Ein Quietschen, Kreischen und Heulen, als ob eine Horde Katzen  von einer Meute Hunde gejagt wurde. Erschreckt ließ sie den Hörer fallen. Ihr Herz fing an zu rasen und völlig gelähmt vom Schreck stand sie im Flur. Entsetzt sah sie wie die Schränke im Flur langsam vor ihren Augen verschwammen und eine Tür aufging. Hans – oder Ole, hob sie in seine Arme und sie war einfach nicht in der Lage sich zu weheren. Sie wurde die Treppe hochgetragen. Völlig apathisch und mit vor Schreck geweiteten Augen musste sie mit ansehen wie sie in ein Zimmer getragen wurde, dass über und über mit technischen Geräten vollgestopft war. Und immer das ständige Quietschen, Heulen und Kreischen!
Sanft wurde sie auf eine Liege gelegt. Ole ging eilig zu einem Gerät, das aussah wie ein Mischpult in einem Musikstudio und drehte an verschiedenen Knöpfen. Der Lärm leiser und leiser, bis er fast ganz verschwand.  Übrig blieb ein leichtes Summen in der Luft.
Er drehte sich zu ihr um und sah sie traurig an. „Das wollte ich nicht. Manchmal spielt das Leben oder das Schicksal uns einen Streich“ sagte er fast zärtlich und fügte mit einer hilflosen Geste hinzu „Dass muss mit der inkompatiblen Technik eurer Welt zu haben.“ Er stand auf und setzte sich auf die Kante der Liege. Leise und wie zu einem Kind sprach er weiter: „Es tut mir sehr leid, Gabi, dass du nun hier bist. Ja – ich bin Hans. Und ich bin Ole. Dort wo ich herkomme bin ich Ole. Ich bin dir wahrscheinlich eine lange Erklärung schuldig.“ Und er erzählte von einer Welt die ähnlich wie ihre war und doch nicht gleich. Sie verstand zunächst nichts und glaubte sich in einem Traum. Gleich werde ich aufwachen und alles ist wieder gut, dachte sie verzweifelt. Aber es war zu real!  Irgendwie klang alles ganz logisch, was Hans, Ole oder wer auch immer, ihr von  Dingen erzählte, die sie bisher nur aus Fantasy Romanen und Science-Fiction Serien aus dem Fernsehen kannte.  
Es hat keine Sturmflut gegeben, die im 14ten Jahrhundert die Uhtlande zerstört hatte , keine zig-Tausend Tote und die Küste behielt ihr Aussehen bis heute. Die Friesen wurden nie dezimiert und die damaligen Sachsen besiedelten niemals Eiderstedt. Dänemark reichte bis weit an Hamburgs Stadtgrenzen, das Schleswig-Holstein ihrer Welt  gab es nicht. Und irgendwann entdeckte jemand einen Weg mit allen wahrscheinlichen Welten in Kontakt zu kommen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit bildeten sich unter der Regie der Regierungen Teams um mit Hilfe der neuen Technik in diese Welten zu reisen. Andere, die damit nicht einverstanden waren, kamen hinter das Geheimnis. Sie wollten die Technik allen zugänglich machen.
Und Ole war ein Agent einer Gruppe, die als „Freiheitskämpfer“ für den Zugang dieser Technik für alle kämpften. Nicht mit Waffen, sondern eher mit Sabotage und durch Stiftung von Verwirrung.

Dafür hatte man diesen Haubarg gekauft, der den Vorteil hatte in allen Welten zu existieren, zumindest in denen zu denen sie Zugang hatten. Dieses war seit Jahren ihre Zentrale, das Tor zu den Welten.

„Tja“ endete Ole mit seiner langen Geschichte „und dann geschah das womit man immer rechnen muss. Ich habe mich in eine Frau aus einer anderen Welt verliebt.“ Traurig sah er sie an und eine Träne kullerte ihm an der Wange herunter. Dann stand er auf und ging wieder zu seinem Mischpult. Er setzte einen Kopfhörer auf und sagte in ein unsichtbares Mikrophon: „Hier Ole. Bitte die Verbindung sofort unterbrechen.“ Dann drehte er sich zu Gabi um, die nun aufstand und zu ihm herüber kam. „Willkommen in meiner Welt“ sagte er mit einem Glitzern in seinen Augen, nahm sie in seine Arme und sie versank in seinen klaren blauen Augen.

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