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Was ist SVV Anmerkung: Dieser Abschnitt enthält potentiell qualvoll/schmerzhaftes Material. Wenn Du Dich selbst verletzt, oder es in der Vergangenheit getan hast, schütze Dich bitte, sichere Dich ab, bevor Du diesen Abschnitt liest; es könnte Deinen Drang, Dich selbst zu verletzen verstärken.

Verschiedene Formen der Selbstverletzung

Wir alle tun von Zeit zu Zeit Dinge, die nicht gut für uns sind und uns verletzen/schaden. Zudem tun wir Dinge, die uns Verletzungen zufügen, in erster Linie aber nicht aus der direkten Absicht getan werden, sich zu verletzen. Selbstverletzung ist manchmal kulturell auferlegt/geduldet/erlaubt, während sie an anderer Stelle als krankhaft zu sehen ist. Wo ist da die Grenze zu ziehen? Einfach einzuordnen ist eine absichtliche, direkte körperliche Schädigung, die selbst zugefügt wurde. Zum Beispiel in den Arm schneiden oder sich selbst mit einem Hammer schlagen sind ganz klar Selbstverletzungshandlungen. Verhaltensmuster wie zwanghaftes Essen, Rauchen, nicht auf seine Gesundheit zu achten...etc., sind langfristig gesehen schädlich, geschehen aber nicht in der Absicht, sich direkt körperlich zu schaden. Und wie ordnet man dann Handlungen wie Tätowierungen, Piercings u.s.w. ein, die ja vorsätzlich eine körperliche Veränderung herbeiführen?




Der erste Schritt der Klassifizierung selbstverletzenden Verhaltens, wie beschrieben von Favazza (1996), beginnt mit dem Einordnen der selbstverletzenden Verhaltensmuster, die krankhaft sind, entgegengesetzt zu denen, die kulturell auferlegt oder sogar erlaubt sind. Er fand heraus, daß sich sozial genehmigte Selbstverletzungshandlungen in zwei Gruppen aufteilen lassen: Rituale and Praktiken. Körperveränderungen (piercings, tattoos, etc) gehören in beide Gruppen.



Rituale sind zu unterscheiden von Praktiken, in dem sie gemeinschaftliche Traditionen wiederspigeln. Normalerweise sind sie gekennzeichnet von tief darunterliegendem Symbolismus, und beschreiben einen Weg für den Einzelnen/das Inidividuum sich mit der Gemeinschaft zu verbinden. Rituale werden vollzogen mit einer Abicht der Heilung (meißt in primitiven Kulturen zu finden), des Ausdruckes der Spiritualität und spiritueller Erleuchtung, und seinen Platz in der sozialen Ordung zu behaupten/darzustellen. Praktiken auf der anderen Seite, haben nur eine sehr geringe tiefer liegende Bedeutung für den Ausführenden und sind manchmal Splins/Marotten. Praktiken werden mit der Absicht der Verzierung/Verschönerung/"Zeichnung" begangen, zeigen Identifikation mit einer kleinen kulturellen Gruppe, und in manchen Fällen aus angenommenen medizinischen/hygienischen Gründen.



Nicht-sozial "erlaubte" (krankhafte) Selbstverletzung kann man entweder als suizidal, Selbstverstümmelung (welches weiterhin unterteilt wird in: stereotyp oder oberflächlich/gemäßigt), oder ungesundes Verhalten klassifizieren.



Kahan und Pattison (1984; Pattison und Kahan, 1983) begannen mit der Identifikation von drei Komponenten der Selbstbeschädigungshandlungen: unmittelbar, tödlich, und wiederholt.


Unmittelbar

hängt davon ab, wie vorsätzlich die Selbstverletzung stattfindet;
wenn eine Handlung in kurzer Zeit beendet ist und im vollen Bewusstsein seiner schädigenden Auswirkungen stattfand, mit der bewußten Absicht, dieses herbeizuführen, dann ist diese Handlung als unmittelbar anzusehen. Ansonsten wäre es eine indirekte Methode der Selbstverletzung.


Tödlich

hängt ab von der Wahrscheinlichkeit des eintretenden Todes als Folge der Handlung direkt im Anschluß oder in naher Zukunft ab. Eine tödliche Handlung ist eine, die mit größter Wahrscheinlichkeit denselben zur Folge hat, und von dieser Person auch beabsichtigt war.


Wiederholt

Hängt davon ab, ob eine Handlung nur ein Mal, oder wiederholt häufig über einen geraumen Zeitraum ausgeführt wird. Es ist ganz einfach definiert in der Unterscheidung, ob man es einmalig oder immer wieder wiederholt tut.



Die folgende Tabelle enthält Beispiele zu jeder möglichen Kombination dieser Faktoren:

Definitionen der gemäßigten/oberflächlichen Selbstverletzung


Eine der vielleicht besten Definitionen des selbstverletzenden Verhaltens" findet man bei Winchel und Stanley (1991), die es definieren als:

...die Absicht der absichtlichen Schädigung des eigenen Körpers. Die Verletzung fügt man sich selbst zu, ohne die Hilfe einer weiteren Person, und die Verletzung ist ernst genug, eine Gewebeschädigung (wie z.B. Narben) hervorzurufent. Handlungen, die mit bewußten suizidalen Absichten ausgeführt werden, oder verbunden sind mit sexueller Erregung, sind ausgeschlossen.

Mosby's Medical, Nursing, and Allied Health Dictionary (1994) beschreibt die folgende Definition:Selbstverstümmelung, hohes Risiko für eine Pflege-Diagnose . . . ist definiert als ein Zustand in dem ein Individuum in großer Gefahr steht, sich zu verletzen, sich aber nicht umzubringen, Gewebeschädigungen hervorruft und eine Spannungserleichterung bewirken soll.
Risikofaktoren beinhalten:

. Mitglied einer Risikogruppe zu sein

. die Unfähigkeit mit zunehmender psychischer/körperlicher
                 Spannung/Anspannung als einen Weg der "Gesundung"
                  fertigzuwerden

. Gefühle der Depression, Selbstablehnung, Selbsthaß,
                 Trennungsängste, Schuld, und Depersonalisation

. Befehlshalluzinationen

. Notwendigkeit der Sinnesstimulation

. Entzug elterlicher Liebe, und eine dysfunktionale Familie.


Zu den Risikogruppern gehören:

. Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen
                (Speziell Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren)

. Patienten in psychotischem Zustand
                (häuflig Männer im jungen Erwachsenenalter)

. emotional gestörte und/oder geschlagene/verprügelte
                Kinder

. Patienten mit einer Selbstverletzungsvergangenheit, und
                Patienten mit einer gewaltvollen Vergangenheit
                (körperlicher, emotionaler, oder sexueller Mißbrauch).


Malon and Berardi (1987) fassen den Prozess, der ihrer Meinung nach Selbstverletzung hervorruft, wie folgt zusammen:

Forscher haben ein allgemeines Muster in dem Verhalten, sich zu schneiden entdeckt. Die Stimulierung...erscheint als Abwehr vor der Bedrohung, der Angst vor Abspaltung, Ablehnung, oder Enttäuschung. Gefühle der erdrückenden Spannung und Isolation hervorgebracht aus der Angst der Preisgabe, Selbsthaß, und die Befürchtung, seine Aggressionen einen selbst beherrschen. Die Angst steigert sich und gipfelt schließlich in einem Gefühl der Unwirklichkeit und Leere, die eine emotionale Taubheit hervorruft oder eine Depersonalisation. Das Schneiden ist ein primitives Mittel gegen die angstvolle Depersonalisation anzukämpfen.

Dieses scheint sich genau zu decken mit den Definitionen beschrieben in Mosby's über Menschen, die gefährdet sind, sich selbst zu verletzen.

Diese Seite beschäftigt sich hauptsächlich mit der gemäßigten/oberflächlichen Selbstbeschädigung, welche direkt ist, wiederholt, und eine geringe Sterblichkeit besitzt. Stereotype Selbstzerstörung neigt dazu, auch direkt, wiederholt, und wenig tödlich zu sein, wogegen schwerwiegende Selbstverstümmelung (unten beschrieben) direkt ist, nicht wiederholt, und eine geringe Sterblichkeit besitzt. Gemäßigte Selbstbeschädigung kann weiterhin noch unterteilt werden in impulsiv und zwanghaft.

Arten der Selbstbeschädigung

Selbstverletzung wird von Favazza (1986) in drei Typen eingeteilt. Schwerwiegende Selbstverstümmelung (eingeschlossen sind Dinge wie Kastration, Amputation von Gliedmassen, Ausstechen der Augen, etc.) ist sehr selten und normalerweise in Verbindung mit psychotischen Zuständen. Stereotype Selbstverletzung umfasst Dinge wie rythmisches Kopfschütteln, etc., zu sehen bei autistischen, geistig behinderten und psychotischen Menschen. Die zumeißt vorkommende Form der Selbstzerstörung, und das Thema dieser Seite, bezeichnet man als oberflächlich oder gemäßigt. Darin eingeschlossen sind Schneiden, Brennen, Kratzen, "Haut-Rupfen", Harre ausreißen (Trichotillomanie), Knochenbrechen, Schlagen, absichtliches Überbeanspruchen von Verletzungen, das Verhindern des Abheilens von Wunden, und eigentlich jede andere mögliche Methode, sich selbst Schaden zuzufügen. In den meißten Studien waren die am häufigsten ausgeführten Schädigungen das Schneiden und hauptsächlich betroffen waren die Handgelenke, Oberarme, und die Innenseiten der Oberschenkel. Viele Leute haben mehrere Methoden benutzt, aber selbst diese haben ein oder zwei bevorzugte Methoden und Stellen, sich selbst zu schädigen.



Zwanghafte Selbstverletzung

Favazza (1996) zerteilt weiterhin die oberflächliche/gemäßigte Selbstverletzung in drei Ty-pen: zwanghaft, episodisch, und wiederholend. Die zwanghafte Selbstverletzung unterscheidet sich im Charakter von den anderen beiden Typen und ist näher in Verbindung zu bringen mit obsessive-compulsive disorder (OCD).

Zwanghafte Selbstverletzung umfasst Haareausreißen (trichotillomanie), Haut quetschen-kratzen,und übertriebene Kritik, wenn es darum geht, wahrgenommene Fehler oder Makel in der Haut zu entfernen. Diese Handlungen können auch Teil eines OCD Rrituals mit zwanghaften Gedanken sein; die Person versucht, Spannung abzubauen und schlechten Dingen vorzubeugen indem sie die selbstverletzenden Verhaltenweisen ausübt. Zwanghafte Selbstverletzung hat einen etwas anderen Charakter und unterschiedliche Ursachen als die impulsive (episodischer und wiederholter Typus).



Impulsive Selbstverletzung


Beide, die episodische und die wiederholende Selbstbeschädigung sind impulsive Handlungen, und der Unterschied zwischen den Beiden scheint eine Frage des Ausmaßes zu sein. Episodische Selbstbeschädigung ist selbstverletzendes Verhalten, das dann und wann von Leuten ausgeführt wird, die normalerweise nicht darüber nachdenken und sich selbst nicht als "Selbstverletzer" sehen. Im allgemeinen ist es ein Symtom einer anderen psychischen Störung.



Was als episodische Selbstbeschädigung beginnt, kann sich zur wiederholenden Selbstbeschädigung steigern, von welchem viele Betroffene glauben (Favazza and Rosenthal, 1993; Kahan and Pattison, 1984; Miller, 1994; unter anderem), daß es als eigenständige Axis I Impuls-Kontroll-Störung klassifiziert werden sollte. Favazza (1997) weißt darauf hin, daß solange, wie die wiederholende Selbstbeschädigung als eigene Kategorie im DSM angesehen wird, sollten Ärzte es als Axis I als 312.3, Impuls-Kontroll Störung, nicht weiter spezifiziert diagnostizieren.



Die wiederholende Selbstbeschädigung ist gekennzeichnet durch eine Tendenz über Selbstverletzung nachzudenken und die Selbsteinschätzung ein SVV-ler zu sein, selbst wenn man es zur Zeit nicht tut (Favazza, 1996). Die episodische Selbstbeschädigung wird wiederholend, wenn das, was ehemals ein Symptom war, zu einem eigenständigen Krankheitsbild wird (was man bestätigt finden kann, indem viele Betroffene die Selbstverletzung als "süchtig machend" beschreiben). Es ist impulsiv in seiner Natur, und wird häufig zu einem Reflexverhalten zu jeglicher Art von Stress, positiv, wie auch negativ. Genau wie Raucher, die zu einer Zigarette greifen, wenn sie gestresst sind, greifen wiederholende "Selbstverletzer" nach einem Feuerzeug oder einer Klinge oder einem Gürtel, wenn die Dinge ihm zuviel werden.



In einer Studie mit BulimikerInnen, die sich selbst verletzen, haben Favaro und Santonastaso (1998), eine statistische Technik benutzt, bekannt als Faktoranalyse, mit dem Versuch, zu unterscheiden, welche Arten der Handlungen zwanghaft sind und welche impulsiv. Sie berichten, daß Erbrechen, schwerwiegendes Nägelknabbern-beißen, und Haareausreißen dem zwanghaften Charakter zuzuordnen sind, wobei Selbstmordversuche, Drogenmißbrauch, Abführmittelmißbrauch, und sich schneiden und verbrennen dem impulsiven Charakter zuzuordnen sind.

Sollten selbstverletzende Handlungen als verpfuschte oder manipulative Selbstmordversuche angesehen werden?


Favazza (1998) legt ziemlich definitiv fest, dass

... Selbstverstümmelung ist getrennt vom Suizid. Haupt-Berichte haben diesen Unterschied bestätigt. . . grundlegend ist zu verstehen, daß die Person, die wirklich vorhat, sich das Leben zu nehmen versucht, allen Gefühlen eine Ende setzen will, wohingegen eine Person, die sich selbst verletzt damit erreichen möchte, sich besser zu fühlen. p. 262.



Obgleich diese Verhaltensweisen manchmal "parasuicid" eingeordnet werden, fanden doch die meißten Forscher heraus, daß der Selbstverletzer im Allgemeinen als Folge seiner Handlungen nicht beabsichtigt, sich das Leben zu nehmen. "Von Selbstmordversuchen wird berichtet, daß nicht Erleichterung das Ziel der Handlung ist, weniger häufig wiederholt ist, und weniger kommunikative Wichtigkeit besitzt" (van der Kolk et al., 1991). "Patienten mit dem [proposed Deliberate Self-Harm Syndrome] leiden oft unter sozialer Verbannung und, in Verzweiflung, mag es auch zum Suizid führen (Favazza et al, 1989) [im Nachdruck hinzugefügt]. Deswegen, obwohl selbstverletzendes Verhalten keine suizidale Absicht besitzt, kann es doch leicht zur Selbstmord-idee führen oder sogar, wenn ein SSV-ler zu weit geht, zum Selbstmord selber. Herpertz (1995) stellte fest, daß SSV-ler selbst unterscheiden zwischen Selbstverletzungsakten und suizidalen; und Solomon und Farrand (1996) sagen "Obwohl die selbstverletzenden und suizidalen Akte selbst verschwommen scheinen mögen, ihre Bedeutung ist es nicht.
Was trotzdem auftreten mag, ist eine Verbindung zwischen den beiden Akten in dem das eine (Selbstverletzung) eine Alternative zu dem anderen (Suizid) darstellt, und bevorzugt wird."



Bei einer Überprüfung der Literatur über Selbstverletzung, hat Favazza (1998) erst kürzlich festgestellt, daß die Selbstbeschädigung im Allgemeinen bekannt wurde als eine krankhafte Form der Bewältigung, eine die oft angewendet wird, wenn ein Selbstmord unvermeidlich scheint. Er schreibt, "herkömmlich wurde es trivialisiert ([sensibel] Handgelenk-schneiden), falsch identifiziert (Selbstmordversuch) und einzig als ein Symptom angesehen [der BorderlinePersönlichkeitsstörung]. Weitere Unterstützung für den klar erkennbaren Charakter der Selbstverletzung kommt aus einer Studie über psychiatrische Diagnosen über Selbstverletzung entgegengesetzt zum Versuch, sich das Leben zu nehmen (Ferreira de Castro et al., 1998). Bei Axis I, 14% der SVV-ler wurden mit einer schweren Depression diagnostiziert, im Gegensatz zu 56% der Suizidgefährdeten. Alkoholabhängigkeit wurde bei 16% der SVV-Gruppe diagnostiziert, aber bei 26% der Selbstmordgefährdeten. Nur 2% der SVV-Gruppe waren schizophren; 9% der Selbstmordgefährdeten. Die SVV Gruppe hatte eine höhere Wahrscheinlichkeit zur depressiven Veranlagung (12% gegen 7%) oder wurden diagnostiziert mit einer Anpassungsstörung mit depressiver Verstimmung (24% gegen 6%). Natürlich, der Fakt eines Selbstmordversuchs mag die Depressionsdiagnose beeinflussen.



Diese Studie enthüllte zudem ähnliche Unterschiede in der Axis II Diagnose derer, deren Selbstverletzung zum Suizid führen sollte und derer, die dies nicht zum Ziel hatten, obwohl bei 9% beider Gruppen Borderline vermutet wurde und 0% von Beiden wurden eingestuft, eine "vermeidende Persönlichkeitsstörung" zu haben.
Da waren große Unterschiede zwischen den Prozentzahlen bei anderen Persönlichkeitsstörungen -- abhängig: 13% SVV, 7% der Suizidgefährdeten; schizoid: 2% SVV, 5% Suizidgefährdete; and histrionisch: 22% SVV, 4% Suizidgefährdet. Es scheint dann klar zu sein, daß die, die sich selbst verletzen um sich zu töten und die, die es tun, um die Gegenwart meistern zu können sehr verschiedene psychiatrische Profile besitzen. Informelle Gutachten trugen über das Internet zusammen, dass sich viele derer, die sich selbst verletzen stark bewußt sind über den schmalen Grad, auf dem sie wandern, nehmen es aber auch den Ärzten und Psychologen übel, wenn sie den Fehler machen, ihre Selbstverletzungsakte als Selbstmordversuche anzusehen, anstatt sie als verzweifelte Versuche zu sehen, den Selbstmord zu verhindern, was es eben auch meißtens ist.



Ist Selbstverletzung das Gleiche wie das Münchhausen-Syndrom, oder ähnliche Störungen?



Noch einmal, nein. Einige Nachforschungen wurden darüber gemacht, ob da eine Verbindung zwischen SVV und dem Münchhausen-Syndrom oder ähnlichen Syndromen besteht, aber "ungebildete medizinische Profis" vermischen diese beiden manchmal. Beim SVV versucht die Person, die sich selbst verletzt, unerträglichen emotionalen und physischen Spannungen zu entfliehen; beim Münchhausen-Syndrom sind die zugefügten Verletzungen absichtlich, überlegt und kalkuliert um spezielle Symtome zu produzieren, die zu einer Einweisung ins Krankenhaus führen. Obwohl manche Menschen, die sich selbst verletzen, einen Krankenhausaufenthalt wünschen, ist es doch meißt in eine psychiatrische Station und nicht auf eine allgemein medizinische Station. Patienten mit dem Münchhausen-Syndrom scheuen auf der anderen Seite zurück vor einer psychiatrischen Behandlung und versuchen eine "normal" mdizinische Behandlung zu bekommen.

Warum verletzen Menschen sich absichtlich?

Drowning in the dark blood of would-be brothers who,
beyond the pressing of fingers, those for whom
the slice is only the beginning, and a different kind
of light comes in, begs recognition and peace of mind.
-- Judybats

Dies mag ein Aspekt der Selbstverletzung sein, der denjenigen sehr unverständlich scheinen mag, die sich nicht verletzen. Warum sollte sich irgendjemand selbst Verletzungen zufügen? Es gibt Beweise, daß SVV-ler, wenn sie konfrontiert sind mit starken Emotionen oder erdrückenden Situationen, die Selbstverletzung als Bewältigungsmittel wählen, weil es ihnen eine schnelle Erleichterung von der Angst und der Anspannung bringt. Diese Situationen verursachen eine Steigerung körperlicher Erregung, und die Selbstverletzung senkt schnell den Level der Erregung wieder auf "Normal-Niveau". Der SVV-ler mag eine Erleichterung verspüren, aber selbst wenn er sich danach schuldig oder ärgerlich fühlt, ist es doch in keinem Fall mit den vorhergehenden schlechten Gefühlen oder der unerträglichen Spannung zu vergleichen.

Mehr Verständnis für die Gründe, sich selbst zu verletzen kann man aus zwei wertvollen Quellen gewinnen: objektiv und subjektiv.

Subjektiv: Aussagen von SVV-lern, die beschreiben, was es ihnen bringt
Miller (1994) und Favazza (1986, 1996). neben anderen, diskutierten verschiedene mögliche Motivationen:

Flucht vor der Leere, Depression, und Gefühle der Derealisation.

um damit Spannung abzubauen.

Erleichterung: wenn sich intensive Gefühle aufbauen, sind SVV-ler überwältigt und unfähig, sie zu verarbeiten. Indem sie sich Schmerzen zufügen, reduzieren sie den Level der emotionalen und körperlichen Spannung auf ein erträgliches Niveau.

Als Ausdruck emotionalen Schmerzes

Flucht vor Betäubtsinsgefühlen: viele derer, die sich selbst verletzen sagen, daß sie es tun, um nur irgendetwas zu fühlen, zu fühlen, daß sie noch leben.

Um ein Gefühl der Euphorie zu erlangen

Weiterführen von Mißbrauchserfahrungen: SVV-ler sind häufig als Kinder mißbraucht worden. Manchmal ist die Selbstverletzung ein Weg, sich selbst dafür zu bestrafen, daß man "böse" war/ist.

Erleichterung von Wut: viele SVV-ler haben eine enorme Menge an Wut in sich. Aus Angst, sie nach außen zu richten, verletzen sie sich selber um diesen Gefühlen freien Lauf lassen zu können.

Biochemische Erleichterung: es gibt Vermutumgen, daß Erwachsene, die als Kinder wiederholt traumatisiert wurden, es sehr schwer haben zu einem normalen Erregungslevel zurückzukehren und sind in einem gewissen Sinne süchtig nach diesem "Krisenverhalten".

Das Erreichen oder Aufrechterhalten des Einflusses auf das Verhalten Anderer

Das Erreichen des Gefühls der Kontrolle über den eigenen Körper

Fundament der Realität, ein Weg, um mit Gefühlen der Depersonalisation und Dissoziation umzugehen

Erhaltung des Gefühls der Sicherheit oder Einzigartigkeit

Ausdruck oder Unterdrückung von Sexualität

Ausdruck oder Umgang mit einem Gefühl der Inbesitznahme


Miller gibt eine Erklärung, warum die meißten Betroffenen weiblich sind: Frauen sind nicht so erzogen, ihre Agressionen nach außen auszudrücken. Wenn sie mit der enormen Wut konfrontiert sind, die viele SVV-ler fühlen, tendieren Frauen dazu, sie gegen sich selbst zu richten. Ein Zitat der feministischen Schriftstellerin Adrienne Rich:

"Die meißten Frauen waren noch nicht einmal fähig diese Wut zu berühren, außer sie nach innen zu treiben wie einen rostigen Nagel."

Wie Miller sagt, "Männer agieren nach außen. Frauen agieren nach außen, indem sie nach innen agieren." Ein weiterer Grund dafür, daß weniger Männer sich selbst verletzen, mag ihre unterschiedliche Art der Erziehung sein, die unterdrückende Gefühle zur Norm machte. Linehan's (1993a) Theorie daß entstehende Selbstverletzung ein Teil andauernder Erklärung, untauglich zu sein ist, indem Du immer gesagt bekamst, daß Deine Gefühle falsch, oder schlecht oder unangemessen sind, könnte die Geschlechtsunterschiede beim selbstverletzenden Verhalten erklären; Männer wurden grundsätzlich dazu erzogen, ihre Gefühle in sich zu behalten.

Objektiv: Was die Forscher herausfanden
Menschen, die sich selbst verletzen, neigen dazu, depressiv - niedergeschlagen zu sein -- erleben eine depressive Stimmung mit einem hohen Grad an Unruhe und Sensibilität für Ablehnung und darunterliegende Spannung -- selbst wenn sie sich nicht aktuell verletzen. Das Muster, das Herpertz (1995) fand, weist darauf hin, daß etwas, normalerweise eine Art interpersoneller Stressor, den Level der depressiven Stimmung und Anspannung in ein unerträglichen Maß steigert. Die schmerzhaften Gefühle werden überwältigend: es ist, als ob der darunterliegende unbehagliche Affekt zu einem maximalen kritischen Punkt eskaliert. "SVV hat die Funktion, eine durchgehende Entlastung von diesen [hohen Graden an Unruhe und Sensibilität] zu bringen," sagt Herpertz. Diese Feststellung wird unterstützt von der Arbeit von Haines und ihren Kollegen.

In einer faszinierenden Studie führte Haines et al. (1995) Gruppen von "Selbstverletzern" und "Nicht-Selbstverletzern" durch begleitete Imaginationssitzungen. Jede Person wurde mit den selben vier Szenarien, die zufällig erschienen konfrontiert: eine Szene, in der Aggression dargestellt wurde, eine neutrale Szene, eine Szene unbeabsichtigter Verletzung, und eine in der selbstverletzendes Verhalten dargestellt wurde. Die Drehbücher hatten vier Stufen: der Schauplatz, die Annäherung an das Ereignis, das Ereignis, und die Konsequenz. Während der begleiteten Imaginationssitzungen wurden die körperliche und die subektive Erregung gemessen.

Die Resultate waren beeindruckend. Die Reaktionen aller Beteiligten unterschieden sich nicht bei den verschiedenen Drehbüchern: Aggression, Unfall und neutral. Im Selbstverletzungs-Drehbuch, stieg trotzdem die Erregung der Kontrollgruppe ("Nicht-Selbstverletzer") auf ein hohes Niveau und blieb dort bis zum Ende der Vorführung, trotz Entspannungsinstruktionen, die in der "Konsequenz-Stufe" enthalten waren. Im Kontrast dazu, erfuhren die "Selbstverletzer" sich steigernde Erregung während der "Schauplatz-Szene" und der "Annäherungsszene", bis zu dem Punkt, an dem sie sich dazu entschieden, sich selbst zu verletzen. Ihre Anspannung sank danach, sank sogar mehr bei der "Ereignis-Szene" und blieb dann niedrig. Diese Ergebnisse zeigen einen deutlichen Beweis, daß die Selbstverletzung eine schnelle, effektive Erleichterung körperlicher Spannung bringt, welche die körperliche Erregung einschließt, die durch negative oder überfordernde psychische Spannung produziert. Wie Haines et al. sagte:

Selbst-Verstümmler sind häufig unfähig, Erklärungen für ihre eigenen selbstverletzenden Handlungen zu abzugeben. . . . Teilnehmer berichteten anhaltende negative Gefühle trotz reduzierter psychophysiologischer Erregung. Dieses Ergebnis weist darauf hin, daß es die Abänderung psychophysiologischen Erregung ist, die funktionieren mag, um das Verhalten zu verstärken und aufrechtzuerhalten, nicht die psychologische Reaktion. (1995, p. 481)

In anderen Worten, die Selbstverletzung mag ein bevorzugter Bewältigungsmechanismus sein, weil es schnell und dramatisch den Körper beruhigt, selbst wenn Menschen, die sich selbst verletzen, sich nach einer Selbstverletzungsepisode schlecht und schuldig fühlen. Sie fühlen sich schlecht, aber der überwätigende psychophysiologische Druck und die Anspannung sind verschwunden. Herpertz et al. (1995) erklärt dieses:

Wir mögen vermuten, daß Menschen, die sich selbst verletzen, aggressive Gefühle und Impulse mißbilligen. Wenn sie es nicht schaffen, diese zu unterdrücken, weisen unsere Ergebnisse darauf hin, daß sie sie nach Innen richten. . . . Dies ist im Einklang mit den Erzählungen der Patienten, die häufig ihre selbstverletzenden Handlungen als Wege der Erleichterung von unerträglicher Anspannung sehen, die aus zwischenmenschlichen Stress entsteht. (p.70).

Herman (1992) sagt, daß die meißten Kinder, die mißbraucht wurden entdecken, daß ein solch ernsthafter Schock für den Körper, wie er beim Selbstverletzungsakt produziert wird, helfen kann, schwer zu ertragende Gefühle zeitweilig verschwinden zu lassen.

Die chemischen Vorgänge im Gehirn mögen auch eine Rolle spielen, beim Bestimmen, welche Menschen sich selbst verletzen und welche dies nicht tun. Simeon et al. (1992) entdeckte, daß Menschen, die sich selbst verletzen that people who self-injure dazu neigen, extrem zornig, impulsiv, ängstlich und aggressiv zu sein, und präsentieren Beweise, daß manche dieser Charaktereigenschaften in Verbindung stehen mit Defiziten im Serotonin-System des Gehirns. Favazza (1993) bezieht sich auf diese Studie setzt vorraus, daß leicht reizbare Menschen mit einer relativ normalen Serotonin-Funktion vielleicht ihren Ärger nach Außen richten, indem sie schreien oder mit Dingen um sich werfen; Menschen mit einer unterentwickelten Serotonin-Funktion richten ihren Ärger nach Innen, indem sie sich selbst beschädigen oder sich umbringen. Zweig-Frank et al. (1994) weist zudem darauf hin, daß das Ausmaß des selbstverletzenden Verhaltens nahe verwandt ist mit einer Serotonin-Dysfunktion.

Diejenigen, die sich selbst verletzen mögen Persönlichkeitscharakteristika besitzen, die die Wahrscheinlichkeit des selbstverletzenden Verhaltens steigern. Haines and Williams (1997) fanden heraus, daß SVV-ler berichten, mehr Gebrauch von der Problemvermeidung als Bewältigungsstrategie zu machen und glauben, weniger Möglichkeiten der Problemlösung zu besitzen. Dieses Gefühl der Nicht-Bevollmächtigung mag abwechselnd in Verbindung stehen zur chronischen Entkräftung, die viele   SVV-ler erlebt haben.

Wer verletzt sich selbst

Allgemeine psychologische Charkteristika der Selbstverletzung


Das Gesamtbild zeigte sich bei Menschen, die:

sich selbst nicht leiden können und sich verneinen
sehr empfindlich auf Ablehnung reagieren
chronisch ärgerlich sind, normalerweise auf sich selbst
dazu neigen, ihre Angst zu unterdrücken
einen hohen Grad aggressiver Gefühle besitzen, was sie sehr stark mißbilligen und dann häufig unterdrücken, oder nach innen lenken
impulsiver sind und es an Impulskontrolle mangelt
dazu neigen nach ihrer momentanen Stimmungslage zu handeln
dazu neigen, in den Tag hinein zu leben und nicht weiterzuplanen
die depressiv und selbstmordgefährdet/selbstzerstörerisch sind
unter chronischen Angstzuständen leiden
leicht reizbar sind
die sich selbst als nicht fähig erachten mit Situationen und Emotionen umzugehen
keine vielfältigen Möglichkeiten der Verarbeitung und Bewältigung besitzen
glauben, daß sie nicht die Fähigkeit besitzen, ihr Leben zu meistern
dazu neigen, "den Kopf in den Sand zu stecken", vermeiden Probleme
kein Selbstvertrauen besitzen



Menschen, die sich selbst verletzen, können häufig nicht mit ihren Gefühlen umgehen, und es scheint einen biologisch erklärbaren Antrieb dafür zu geben. Sie neigen zu leichter Aggressivität und ihr Gemütszustand zum Zeitpunkt der Selbstverletzung ist wahrscheinlich eine stark intensivierte Version einer langbestehenden zugrundeliegenden Stimmung, (Herpertz, 1995). Ähnliche Ergebnisse beschrieben Simeon et al. (1992); sie fanden heraus, daß es zwei emotionale Hauptzustände gibt, die am häufigsten bei den Personen, die sich selbst verletzen, zum Zeitpunkt der Handlung vorhanden sind: Angst- und Ärgergefühle , die zudem seit längerer Zeit als Persönlichkeitsmerkmale bestehen. Linehan (1993a) fand heraus, daß die meißten SVV-ler ein stimmungsabhängiges Verhalten zeigen, in Übereinstimmung mit den Forderungen ihres gegenwärtigen Gefühlszustandes handeln, anstatt längerfristige Wünsche und Ziele zu erwägen.



In einer anderen Studie fanden Herpertz et al. (1995) unter den SVV-lern, zusätzlich zu der verarmten Affektsteuerung, Impulsivität, und Aggression (wie zuvor beschrieben), gestörte Affekte, eine große Menge unterdrückter Wut, einen hohen Grad an Selbsthaß und eine Unfähigkeit zu planen:



Wir mutmaßen, daß die SVV-ler für gewöhnlich aggressive Gefühle und Impulse ablehnen. Schaffen sie es nicht, diese zu unterdrücken, richten sie diese gegen sich selbst. . . .



Dulit et al. (1994) fanden verschiedene gemeinsame Charakteristika zwischen SVV-lern und Borderline-Persönlichkeiten (im Gegensatz zu nicht-SVV-Borderline-Persönlichkeiten ).

Diese sind

wahrscheinlicher psychotherapeutisch oder medikamentös behandelt zu werden
wahrscheinlicher, zusätzlich an Depressionen oder Bulimie zu leiden
höhere, akute oder chronische Selbstmordgefahr
höhere Gesamtzahl an Selbstmordversuchen
weniger sexuelles Interesse und Aktivität



In einer Studie mit BulimikerInnen, die sich selbst verletzen (Favaro und Santonastaso, 1998), hatten die, deren Selbstverletzung teilweise oder meißtens impulsiv war, höhere Werte bei den Maßen: obsessiver Zwang, Somatisierung, Depression, Angst und Feindseligkeit.



Simeon et al. (1992) fanden heraus, daß die Tendenz, sich selbst zu verletzen mit dem Grad an Impulsivität, chronischer Wut und körperlicher Angst steigt. Je höher der Grad der chronischen unangemessenen Angst, um so ernsthafter ist der Grad der Selbstverletzung. Zusätzlich fanden sie eine Verbindung von starker Aggression und verarmter Antriebskontrolle. Haines and Williams (1995) fanden heraus, daß SVV-ler dazu neigen, die Problemvermeidung als Bewältigungsmechanismus zu benutzen und sich selbst unfähig sehen, Kontrolle über diesen Mechanismus zu besitzen. Zusätzlich haben sie ein geringes Selbstwertgefühl und wenig Lebenshoffnung.





Statistiken


Conterio and Favazza schätzen, daß 750 von 100000 Einwohnern selbstverletzendes Verhalten zeigen (neuere Schätzungen geben an, daß 1000 von 100000, oder 1%, der amerikanischen Bevölkerung sich selbst verletzen). In ihrem Bericht von 1986 beschreiben sie, daß 97% der Betroffenen weiblich sind und sie erstellten ein "Portrait" des typischen SVV-lers. Er ist weiblich, Mitte zwanzig bis Anfang dreißig, und verletzt sich seit dem Teenageralter, entstammt häufig der Mittel- oder oberen Mittelschicht, ist intelligent, gut erzogen und in seiner Vergangenheit finden sich häufig Erlebnisse des sexuellen Mißbrauchs, oder Familien, in denen mindestens ein Elternteil Alkoholiker war. Zudem leiden sie häufiger zusätzlich an Eßstörungen.



Möglichkeiten, sich selbst zu verletzen:


Schneiden: 72 %
Verbrennen: 35 %
Sich Schlagen: 30 %
die Wundheilung verhindern: 22 %
Haare ausreißen: 10 %
Knochen brechen: 8 %
mehrere Methoden: 78 % (die oberen eingeschlossen)




Warum sind es so viele Frauen?


Obwohl die Ergebnisse informativer Internet-Umfragen und die Zusammensetzung einer Mailing-Liste für SVV-ler keine so starke "weibliche" Neigung zu diesem Verhalten zeigen, wie es die Zahlen von Conterio tun (die Statistik zeigt: 85% weiblich zu 15% männlich, und die Liste kommt folgenden Zahlen eher nahe: 67% weiblich zu 34 % männlich), so ist es doch klar, daß Frauen viel öfter zu diesem Verhalten greifen, als Männer es tun. Miller (1994) ist sich unzweifelhaft sicher mit einer ihrer Theorien, daß Frauen dazu erzogen wurden, Ärger zu verinnerlichen und Männer dazu, ihn zu veräußerlichen. Zudem ist es möglich, daß Männer weniger Probleme haben, Emotionen, wenn sie sie zu überwältigen scheinen, in sich zu behalten da sie dazu erzogen wurden, diese zu unterdrücken, oder aber sie richten sie nach außen in Form von scheinbar unangemessener Gewalt.



Schon frühzeitig im Jahr 1985 stellte Barnes fest, daß Geschlechts-Rollenverhalten eine wichtige Rolle spielt, bei der Frage, wie SVV-Patienten behandelt werden. Die Studie fand statt in einem allgemeinen Krankenhaus in Toronto: Frauen wurden viel öfter diagnostiziert mit "vorrübergehende situative Unruhe" und Männer mit "Drogenmißbrauch".



Barnes nimmt an, daß Männer, die sich selbst verletzen, von Ärzten wesentlich ernster genommen werden"; nur bei 3.4% der Männer aus der Studie wurden vorrübergehende und situationsbezogene Probleme angenommen im Vergleich zu 11.8% der Frauen.

Ursachen für SVV

Vergangenheitstrauma / Vorgeschichte als krankmachender Auslöser


Van der Kolk, Perry, and Herman (1991) haben eine Studie über Patienten geführt, welche unter SVV und Suizidalität litten. Sie haben herausgefunden, dass verschiedene Gegebenheiten während der Kindheit bis zur Pubertät zuverlässige Indikatoren sein können für die Häufigkeit wie auch die Schwere der Verletzungen. So zum Beispiel: Physischer oder sexueller Missbrauch, körperliche oder emotionale Vernachlässigung und chaotische Familienverhältnisse. Je früher der Missbrauch anfing, desto eher griffen die Betroffenen zum Messer und desto tiefer waren die Schnitte. Opfer von sexuellem Missbrauch neigen am ehesten von allen zum Schneiden. Es wird zusammengefasst:



... Vernachlässigung ist der stärkste Auslöser für SVV. Dieses deutet darauf hin, daß obwohl ein Kindheitstrauma ein starker Auslöser für den Beginn des selbstverletzenden Verhaltens ist, die Vernachlässigung dieses Verhalten aufrechterhält. Die, die sich nicht erinnern konnten sich als Kind als etwas besonderes gefühlt zu haben oder von geliebt zu sein, waren am wenigsten fähig ihre Selbstverletzung unter Kontrolle zu bekommen.



(In der gleichen Abhandlung haben van der Kolk et al. vermerkt, daß das Absondern und die Häufigkeit der Erfahrungen von Absonderung mit SVV im Zusammenhang zu stehen scheinen. Absonderung im Erwachsenenalter wurde auch schon erfolgreich in Zusammenhang gebracht mit Missbrauch, Vernachlässigung oder einem Kindheitstrauma.)



Die Theorie, daß physischer oder sexueller Missbrauch oder ein Trauma wesentlich zu SVV beitragen wird durch einen Artikel, der 1989 im American Journal of Psychiatry erschienen ist unterstützt. Greenspan und Samuel stellen drei Fälle dar, in welchen Frauen, welche keine psychopathologische Vorgeschichte gehabt zu haben schienen, sich als SVV-ler zeigten, weil sie ein Trauma in Folge einer Vergewaltigung erlebt hatten.

Diagnosen
Verschiedenste klinische Diagnosen werden im Zusammenhang mit Selbstverletzendem Verhalten gestellt. Die wichtigsten, allgemein anerkannten Diagnosekriterien sind im DSM (Diagnostisches Statistisches Manual) und dem ICD (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) zu finden.

Am häufigsten kommt die Diagnose Borderline - Persönlichkeitsstörung gemeinsam mit Selbstverletzendem Verhalten vor, gefolgt von Eßstörungen, Störungen durch psychotrope Substanzen, sowie der Antisozialen Persönlichkeitsstörung, der Neurotischen Persönlichkeitsstörung und der Multiplen Persönlichkeitsstörung. (vgl. Herpertz, 119)

Oftmals ist es auch gar nicht möglich, die Diagnose so klar zu stellen, bzw. PatientInnen haben mehrere Diagnosen gleichzeitig oder nacheinander, hierzu zwei Zitate von Sachsse :

"Die Leitsymptomatik SVV (Selbstverletzendes Verhalten, Anm. d. V.) steht nie isoliert. Sie ist stets verbunden mit weiteren selbstschädigenden Verhaltensweisen und Symptombildungen." (Sachsse, 1989a, 32)

und

"Nach psychoanalytischen Kriterien handelt es sich bei Patientinnen mit schwerem SVV überwiegend um solche mit einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung, die in Belastungssituationen auf Borderline - Organisationsniveau regredieren und präpsychotisch dekompensieren können." (Sachsse, 1989a, 46)

Mit der Häufigkeit im Zusammenhang mit Selbstverletzendem Verhalten gestellter Diagnosen befassen sich zwei Untersuchungen, die ich nun darstelle, da sie auch in den folgenden Kapiteln immer wieder zitiert werden. Die Untersuchung von Wewetzer bezieht sich dabei auf den Kinder - und Jugendpsychiatrischen Bereich, die von Herpertz auf die Erwachsenenpsychiatrie.

Wewetzer et al. haben 1997 erste Untersuchungsbefunde einer Pilotstudie in Würzburg mithilfe einer retrospektiven Datenanalyse der stationären Krankengeschichten von 64 PatientInnen (69 % Mädchen) der Kinder - und Jugendpsychiatrie aus den Jahren 1982 bis 1992, veröffentlicht. Die zugrundeliegende Definition ist relativ weit gefaßt:

"Unter offenem selbstverletzendem Verhalten werden verschiedene Auffälligkeiten zusammengefaßt, deren Gemeinsamkeit die Beschädigung des eigenen Körpers ist."

Davon grenzen sie indirekte Selbstbeschädigung, Suizid und heimliche Selbstverletzungen ab. Ziel war, etwas über die Symptomatik und die psychopatholoischen Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit Selbstverletzendem Verhalten zu erfahren, sowie über die Komorbidität von Selbstverletzendem Verhalten und Suizid.

Neben allgemeinen Daten zu Alter, Geschlecht, Beschreibung des Symptomkomplexes und Erfassung der gestellten kinder - und jugendpsychiatrischen Diagnosen, fanden sie einen Zusammenhang zwischen Selbstverletzendem Verhalten und Suizidtendenzen und Selbstverletzendem Verhalten und Fremdaggressionen, sie fanden einen erhöhten Anteil an PatientInnen mit Intelligenzminderung, sowie gehäuft unspezifische, abnorme psychosoziale Umstände.

Spezifität hinsichtlich der Diagnose fanden sie nur bei Selbstverletzungen im Rahmen von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und hirnorganischen Schädigungen. Sie geben an, daß die Diagnosen im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich andere als bei Erwachsenen seien und nennen folgende, von ihnen gefundene, gestellt nach ICD - 10 :



Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen : 14%
Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen : 13%
Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in Kindheit und Jugend : 13 %
Eßstörungen : 9 %



Ich werde jetzt eine weitere Untersuchung von Herpertz darstellen, die sich mit Diagnosen beschäftigt, mit der sie die Hypothese untermauern wollte, daß Selbstverletzendes Verhalten ein Selbstschutzmechanismus sei, mit dem überwältigende und unkontrollierbare Affekte gemindert oder abgewehrt werden könnten.

Herpertz untersuchte 60 PatientInnen mit Selbstverletzendem Verhalten, davon 53 Frauen (Altersdurchschnitt 26, 3 + / - 8, 6 Jahre) und 7 Männer (Altersdurchschnitt 26, 7 + / - 6, 1 Jahre), die zwischen Mai 1992 und Mai 1994 in einer Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychologie in Deutschland zur stationären Aufnahme kamen. Herpertz definiert Selbstverletzendes Verhalten folgendermaßen:

"Selbstverletzungsverhalten bezeichnet die wiederholte selbstzugefügte, direkte körperliche Verletzung ohne suizidale Absicht." (Herpertz, 115)

Die Daten wurden von der Autorin erhoben, die in der Anwendung der im folgenden aufgelisteten Instrumente erfahren war.



Die Persönlichkeitsstörungsdiagnosen wurden nach DSM - III - R mit der Aachener Merkmalsliste zur Erfassung von Persönlichkeitsstörungen erhoben, deren Datenerhebung auf einer subtilen biographischen Anamnese, fremdanamnestischen Angaben, sowie einer Verhaltensbeobachtung während eines stationären Aufenthaltes beruht.
Die klinischen Diagnosen wurden entsprechend der DSM - III - R - Kriterien erhoben.
Merkmale des Symptoms Selbstverletzungsverhalten wurden mit einem halbstrukturiertem Interview erfaßt, das sich auf das innere Erleben der PatientInnen im zeitlichen Umfeld der Selbstverletzungshandlung bezog.
Ergänzend wurde die deutsche Version des Self harm Behavior Survey (SBS) eingesetzt, einem Fragebogen, der typische Merkmale von Selbstverletzungsverhalten, aber auch biographische Merkmale abfragt.
ein aus psychodynamischer Perspektive entwickeltes Fremdbeurteilungsinstrument zum psychischen und Sozialkommunikativen Befund, beruhend auf einem klinischen, fragebogengeleiteten Interview.
am Ende des Aufenthaltes erfolgte ein Interview zu biographischen Traumata, ergänzend wurde durch den SBS auch schwere biographische Belastungen abgefragt.


Die erhobenen Häufigkeiten an biographischen Traumata wurde mit Daten von 60 PatientInnen einer Psychotherapiestation mit Schwerpunkt schwere Neurosen und Persönlichkeitsstörungen, verglichen.

Herpertz interpretiert die Ergebnisse dahingehend, daß sich die zentrale Bedeutung von Selbstverletzendem Verhalten als dysfunktionaler Coping - Mechanismus herauskristallisieren würde, außerdem würden ihre Ergebnisse bisherige Literatur dabei bestätigen, daß biographischen Traumata eine wichtige Bedeutung in der Genese der Borderline - Persönlichkeitsstörung und des Selbstverletzendem Verhaltens zukäme.



Herpertz hat folgende Ergebnisse hinsichtlich der Diagnosen erzielt (Prävalenzen schließen Mehrfachdiagnosen ein):

Zunächst die klinischen Diagnosen:

Über 50 % hatten die Diagnose einer Eßstörung, darunter 20 % mit Bulimia Nervosa, gefolgt von Anorexie. Über 30 % betrieben Mißbrauch durch psychotrope Substanzen, am häufigsten mit Alkohol. Desweiteren kamen über 20 % affektive Störungen vor, sowie je 10 % Angst - und schizophrene Störungen.

Nun die Diagnosen der Persönlichkeitsstörungen:

Die Hälfte der PatientInnen hatten eine Borderline - Persönlichkeitsstörung, ein Viertel hatten gar keine Persönlichkeitsstörung, danach folgten (nach Häufigkeit des Vorkommens) die histrionische, die dependente, die antisoziale und die schizoide Persönlichkeitsstörung.

Weitere Ergebnisse, die für meine Arbeit relevant sind werde ich in den betreffenden Kapiteln darstellen.

Ich beziehe mich hauptsächlich auf die Daten für den Erwachsenenbereich, da die "typische" Selbstverletzungspatientin im jungen Erwachsenenalter ist. (vgl.Favazza & Conterio, 284 ; Graff et al., zitiert nach Hänsli, 41)



Im folgenden werde ich die wichtigsten Diagnosen kurz darstellen, sowie deren Zusammenhänge mit Selbstverletzendem Verhalten.

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