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Als das anfing mit meinem Vater, da war ich noch relativ klein. Ich war 6. Oh wartet, das ist sehr klein.
                                                                                       Ich war also ein sehr kleiner Junge.

Früher redete ich mir ein, Papa hätte nur eine schlechte Phase. Papa wäre eben 'nicht gut drauf'. Ich habe ein wenig ängstlich mit angesehen, wie er Mama auf einmal anschrie (ich kannte so etwas nicht) und immer griesgrämiger wurde. Das ist lange her. 12 Jahre beinahe. Er hat sie zu der Zeit noch nicht geschlagen. Das fing später an. Es war einfach so, dass.. naja, er wirkte immer gestresst und unzufrieden. Ab und zu waren Abende dabei, an denen sie zusammen auf dem Sofa saßen und Filme anschauten, es war dann beinahe wieder normal. So, wie ich es gewohnt war. Diese Abende wurden relativ schnell sehr selten. Ich wurde acht Jahre alt und sie waren extrem selten. Sie waren quasi gar nicht mehr vorhanden. Er wurde nörgeliger. Dann lauter. Aggressiver. Manchmal, wenn er einen besonders schlechten Tag hatte, sogar angsteinflößend. Aber mein Vater hat nicht mit sich reden lassen. Nie. Nicht im sanften, schon gar nicht im drohenden Ton. Er sah seine Fehler nicht ein, wollte nicht über sein Verhalten reden. Wir haben es so oft versucht! Er wich aus. Oder er wurde noch wütender. Manchmal ging er einfach. In sein Arbeitszimmer. Naja, sobald es Abend wurde und ich im Bett lag, habe ich mich an die harmonischen Zeiten erinnert und konnte nicht verstehen, wie sich ein Mensch so sehr verändern kann. Ich hoffte darauf, dass es aufhörte, diese "schlechte Phase", und dass Papa bald wieder lachend und pfeifend durch's Haus gänge. Aber es hörte nicht auf, es wurde schlimmer und irgendwann war ich alt genug, um zu verstehen, dass er trank. Ich konnte seinen komischen, abgestandenen Atem zuordnen. Und somit konnte ich auch dem Alkohol die Aggressionen in die Schuhe schieben, die meinen Vater seitdem ich ca. 8 war, beinahe täglich begleiteten. Aber er tat uns nicht weh, (noch nicht), und manchmal, ganz selten, war er so wie früher. Ich war noch ein Kind. Ich brauchte ihn. Und ich liebte ihn. Und ich dachte ganz naiv daran, dass alles wieder gut wird. Ich sah das Ausmaß nicht. Ich sah die Gefahr nicht. Jedenfalls nicht so sehr, wie sie zu erahnen war. Ich war so klein..

Als ich also erkannte, dass mein Vater Alkoholiker war, war ich so ungefähr 10 Jahre alt. Irgendwann sah auch meine Mutter ein, dass er wirklich abhängig war. Das war ein Jahr später, ich war also 11. Ich fing an, mehr zu verstehen, mehr mitzubekommen, mehr deuten zu können und reifer zu werden, drastisch. Also, meine Mutter konnte es nicht mehr abstreiten: Alkoholabhängig. (Ja, Leute, man braucht eine Weile um sich das wirklich einzugestehen. Und man braucht auch ein bisschen, ehe man erst einmal wirklich abhängig ist.) Er trank immer. Und manchmal sehr viel. Mama wollte, dass er Therapien machte. Sie hat es oft versucht. Daraufhin hat er sie geschlagen. Es fing also an, gefährlich zu werden, als ich 11 Jahre alt war. Er fing an, ihr weh zu tun, als ich 11 war. Er schug sie, bis sie nichts mehr unternommen hat. Nichts mehr gesagt hat. Sie hat sich ihm aufgeopfert und unterworfen. Ich kam mir vor wie in der Hölle. Wenn mein Vater nüchtern war, manchmal, nachdem er geschlafen hatte, beinahe nüchtern, versuchte ich, mich ihm zu nähern und mit ihm zu reden. Ich war schließlich sein Sohn, er musste mich doch lieben, ich hatte ihm nie was getan. Vielleicht war er ja böse auf Mama, dachte ich, vielleicht durchlebten sie eine Krise und Mama verschwieg mir diesen Fakt. Ich ging also - jedes Mal aufs Neue ein wenig ängstlich und unsicher -  immer wenn er grade geschlafen hatte, zu ihm und versuchte, ihn zu bewegen. Ich hatte gehofft, dass er dann wie ausgewechselt sein würde. Doch er war es nicht. Selbst im halbwegs nüchternen Zustand war er kälter geworden. Herzloser. Noch nicht vollends kalt und herzlos.. aber nahe dran. Und wie ich später erfahren sollte, verlor er sein Herz und seine Wärme mit der Zeit schließlich ganz. Mein Vater. Mein geliebter Vater. Er war alkoholabhängig. Er war gewalttätig. Eigentlich war er nur noch eine Last. Und ich konnte ihn nicht umstimmen, konnte ihn nicht wieder verändern, nicht wieder zum Alten biegen. Ich hatte doch keine Chance, er war so anders. Ich wollte es nicht begreifen und es dauerte eine lange Weile, bis ich es doch begriff. 3 Jahre lang habe ich Nachts im Bett gelegen und überlegt wie ich es wieder grade biegen könnte. Wie ich ihn ändern könnte. Beinahe 3 Jahre lang habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben. Natürlich starb sie über diese Zeit stetig ein wenig, aber sie war niemals tot. Ich hatte immer gehofft, ich könnte etwas bewegen, verändern, verbessern. Weil ich eben immer noch meinen Vater sah. Einen Menschen, der liebt. Kein Monster. Ich habe krankhaft an das Gute in ihm geglaubt.
Bis ich 14 war.

Es war an einem Freitag. Ihm gefiel das Essen nicht. Er schmiss die Teller vom Tisch und schrie meine Mutter an. Er stank. ein Schultag war schrecklich gewesen, 6 in Mathe, 4 in Englisch. Ich kam nach Hause und mein Vater setzte den schrecklichen Tag fort, machte ihn immer schrecklicher. Ich weinte. Verzweifelt. Am Ende. Er hörte auf meine Mutter anzuschreien und sah mich an, mit einem Blick, der etwas wie Verachtung enthielt. Allein dieser Blick ließ mich erstarren. Mein Vater sagte, dass er abhauen würde, hätte er genug Geld. Dass er unsere Gesichter nicht mehr ertragen könne. Dass wir zu nichts zu gebrauchen wären und ihm nur noch auf die Nerven gingen. Nein, er sagte es nicht, er schrie es. Mir und meiner Mutter ins Gesicht. Dann schlug er mich. Mit seiner flachen Hand ins Gesicht. Mama schrie auf. Sie hatte so etwas schon öfter über sich ergehen lassen müssen. Sogar weitaus Schmerzhafteres. Ich jedoch nie zuvor. Na klar, er war betrunken. Aber er war dauernd betrunken und es war keine Entschuldigung. Seit diesem Tag schlug er mich öfter. Nicht oft, aber öfter. 3 Mal im Monat mindestens. Meine Mutter konnte froh sein, wenn er sie einmal die Woche schlug. Ab diesem Zeitpunkt, an dem er mich das erste mal schlug und uns solche Worte ins Gesicht schrie, lebte ich tagein, tagaus einfach in der Hoffnung, dass ein Wunder geschehe, welches das Leben meiner Mutter und mir um 360° drehen würde.
Natürlich geschah nichts.

"Man kriegt im Leben eben nichts geschenkt. Außer einem aggressiven, alkoholabhängigen, gewalttätigen Ehemann und einen wunderbaren Sohn", hat meine Mutter mal gesagt. Das ging mir so scheiße unter die Haut, dass ich beschloss, mehr für sie da zu sein. Wie gesagt, ich war so 14. Wenn mein Vater weg war (und er war zusehends seltener zu Hause, was uns 'nicht grade störte'), setzten wir uns zusammen. Ungestört. Nicht mehr ängstlich. Geschützt vor ihm. Wir mussten dann keine Angst haben, dass er etwas mithörte, aggressiv wurde und meiner Mutter wehtat. Also saßen wir oft auf dem Sofa oder in der Küche am Tisch, bei gedämpftem Licht, nach dem Essen. Wir redeten. Wir weinten. Und wir redeten. Und wir weinten. Und manchmal lachten wir. Bis er wieder kam. Das machten wir über ein Jahr lang. Ein Wort, um dieses Jahr zu beschreiben: Traurig. Es war ein einziges Versteckspiel und Angst-haben vor ihm. Aber dann, eine Wende. Irgendwann hat meine Mutter gesagt  "Wir müssen jetzt was machen, Mäxchen". So etwas in der Art hatte sie öfter gesagt, jedoch nie so deutlich und mit einem so entschlossenen Unterton in der Stimme. Und in dem Moment geschahen zwei Dinge mit mir, in mir: Einerseits hätte ich sie anspringen können, begeistert aufschreien können, dass es bald ein Ende hat, und dass meine Mutter bereit war, alles loszulassen, was nur noch wehtat: Den Traum einer kompletten, glücklichen Familie. Andererseits habe ich an dem Punkt realisiert, was wir - und ich denke, das darf ich so sagen - für arme Schweine sind, dass es wirklich so weit kommen musste. Wir mussten uns gegen meinen Vater wehren. Nicht mit ihm reden oder so, wie das in normalen Familien ist, nein. Wir mussten uns wehren. Er ließ ja nicht mit sich reden. Schon lange nicht mehr. Also wehrten wir uns gerichtlich. Wir gingen gerichtlich gegen ihn vor.
Gegen meinen eigenen Vater.

Ich frage mich, wieso wir das nicht schon viel früher getan hatten. Wahrscheinlich, weil die Hoffnung - in diesem Fall leider - zuletzt stirbt, und uns viel zu lange dazu bewegt hat, das alles über uns (und vorallem über meine Mutter) zu ergehen lassen. Seit fast zwei Jahren sind wir ihn jetzt los. Im August sind es zwei Jahre. [ Und ja, es gab ein riesiges Donnerwetter, als er erfuhr, dass wir gerichtlich gegen ihn vorgehen - Er hat uns angeschrien. Und.. naja, ihr könnt es euch ja denken. Es tat weh. Er sagte, wir sollten das doch mit ihm absprechen (ABSPRECHEN?! Du hättest uns halbtot geprügelt) und sollten doch mit ihm reden (Sehr witzig, du Idiot!) ] Wir wissen bis heute nicht, was ihn zu diesem Menschen gemacht hat. Aber wir konnten es nicht ändern. Konnten es nicht verhindern. Wir haben alles uns Mögliche versucht. . Wer hätte das auch bei uns erwartet? Wir waren eine normale, ja sogar glückliche Familie. Zumindest dachten meine Mutter und ich das immer. Vielleicht dachte er anders. Man denkt immer, das wäre alles so weit weg. Und dann ist es ganz nah. Es ist ganz nah, man ist mittendrin und einem sind die Hände gebunden. Man handelt nicht, vor lauter Schock und Überforderung - etliche Jahre lang.

Papa, ich brauche dich nicht mehr. Du tust mir nur noch weh.

Es tut weh, dein früheres Ich gehen zu lassen.
Es ist unglaublich schwer, ehrlich.
So wie du damals warst, weißt du,
da warst du mal mein PAPA,
nicht meine größte Angst.

Du hast zu viel Unheil gebracht.
Du hast uns zu sehr wehgetan,
um dir irgendeine Chance zu geben
Definitiv, alter Mann.

Sollte ich dir jemals verzeihen,
dann sicherlich nicht heute,
nicht morgen oder übermorgen,
und auch nicht in 5 Jahren.

Ich weiß nicht einmal,
ob mir das jemals gelingen wird.

Und es ist mir egal.
Denn ich denke jetzt
an mich.

Schäm Dich.

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