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Dumpfe Schritte tönen auf dem Flur. Ich sehe zur Uhr hinüber und weiß genau, dass es nicht mehr lange dauert. Ich drehe mich zum Fenster und schau mir die Sterne an. Es sind nur ein paar von ihnen am Himmel, aber was möchte ich auch anderes in der Stadt erwarten? –Wobei dafür sind es eigentlich schon wieder recht viele. Sieben kann ich zählen. Ich frage mich, ob einer davon wirklich mein Vater ist. Als er damals starb wurde mir gesagt "Papa passt von oben, aus den Sternen, auf dich auf." Aber ich kann ehrlich gesagt nicht dran glauben. Wenn er mich angeblich von dort oben beschützt, wieso ist er dann in diesen Nächten nicht für mich da? -Er lässt mich jeden Abend im Stich.

Eine warme Hand legt sich auf meine Taille, mittlerweile erschrecke ich mich nicht einmal mehr, wenn das passiert. Als wäre es selbstverständlich nehme ich die Kopfhörer aus meinen Ohren und drehe mich um. "Widerstand ist zwecklos, Lissie." , sagte ich mir immer und immer wieder, so geht es schneller vorbei. Auch wenn es nie sehr lange andauerte, kam es mir vor wie eine Ewigkeit. Ich liege ganz still in meinem Bett, um uns herum ist alles dunkel. Es riecht nach einem dominanten Rasierwasser von Boss, ein Duft der bei mir ekel auslöst. Meine Augen öffnen, das kann ich nicht. Ich kann es nicht mit ansehen, nicht in diese blauen freundlichen Augen sehen. Augen mit denen ich eigentlich immer das Gefühl von Wärme und Geborgenheit in Verbindung gebracht habe. Jetzt aber war es nur noch ein Gefühl von Ekel, Hass und Angst - großer Angst.

Meine Kleidung nehme ich angewidert vom Boden auf und lege sie in den Wäschekorb, ich will nicht mehr außer, dass die Sachen ganz schnell sauber werden. Ich klappe die Türen von dem weißen großen, mit einem Spiegelbeklebten Schrank auf, gut verstaut in der hintersten Ecke hängt mein rosa Plüsch Morgenmantel, er reicht mir grade mal bis zu den Knien, da er schon so alt ist. Dennoch trage ich ihn gerne, es ist ein Gefühl als würde er mich wenigstens beschützen können.
Auf dem Weg zum Bad ertönen die Selben dumpfen Töne auf dem alten Holzboden, wie ich zu vor hörte. Fast eine ganze Stunde lang dusche ich, versuche mir das geschehene vom Leib zu reiben, allmählich wird meine Haut ganz rot, rot vom ganzen schrubben. Mühsam zwänge ich mich in meine blauen Jeans und einen weißen Pullover. Die Uhr zeigt grade mal halb sieben, was fange ich nun mit dem restlichen Tag an? Was soll ich machen, bis alle wach werden und Frühstücken wollen?  Mich zurück in mein Bett legen? –Nein, das möchte ich vorerst nicht mehr sehen. Wie gerne würde ich einfach nur schlafen, schlafen und später auf wachen und alles war nur ein blöder Traum. Seit Mum Steve geheiratet hat, schlafe ich kaum noch. Ständig habe ich Angst, dass er in meinem Zimmer steht.

Mum’s Stimme ist es, die mich aus meinen Gedanken zieht "Lissie kommst du zum Frühstück?" Ich blicke auf und nicke ihr still zu. Wie bist du auf den Sessel gekommen?, fragt eine Stimme in mir. Langsam habe ich das Gefühl ich drehe durch, nicht einmal mehr das weiß ich. Dicht hinter Mum schleiche ich die Treppe runter in die Küche, wo Steve mit Hannah sitzt. Sie lachen laut stark und haben ihren Spaß, besonders Hannah, denn Steve schneidet ihr lustige Grimassen. Wie kann er jeden Tag so tun, als wäre nichts gewesen? Wie kann ich jedes Mal so tun, als wäre alles okay? Ein halbes Brötchen, das ist alles was ich runter bekomme. Nur wegen Mum und Hannah quäle ich mir die Hälfte mit einer dünnen Scheibe Käse runter. Ich möchte nicht wieder Mum’s bohrenden Fragen ausgesetzt sein, ob ich Probleme habe. "Kommt Marc heute, Lissie?" , tippt Hannah mich an. "Dumme Frage, Hannah. Er kommt doch fast jeden Tag!" Der Satz kam gemeiner über meine Lippen, als er sollte. Was war mit mir los? Hannah hat mich doch bloß einfach gefragt und ich raunze sie direkt so an. Aber ich kann es irgendwie nicht ertragen, wie glücklich sie über die Witze und Grimassen von Steve lachte. Wie gerne würde ich sie vor ihm warnen, aber wie sollte sie es verstehen, dafür war sie doch noch viel zu jung.

Auf die Hausaufgaben stürzen, ja das werde ich machen. Ohne ein weiteres Wort Stand ich auf und ging in mein Zimmer, zu meinem Erstaunen beging ich wirklich sofort damit meine Hausaufgaben zu machen. "Du solltest vielleicht einfach nur öfters Vokabeln lernen, Lissie." , hörte ich eine Stimme lachen, es war die Stimme von Marc. Ich drehte mich von meinen zwei Zeilen Spanisch-Aufsatz um und sah ihn verwirrt an. Alles was er tat ist lachen, lachend sagte er "Das mit den Aufsätzen wird nie etwas, wenn du nicht mal die einfachsten Vokabeln kannst."
Marc’s lachen hatte einfach so etwas vollkommen warmes an sich. Keiner konnte ihm wiederstehen, sobald er anfing zu lachen, lachten alle. Genauso wie ich es tat, ich konnte nicht widerstehen und lachte einfach mit ihm. Warum ich lache? -Ich weiß es selber nicht. Eigentlich war mir nicht einmal zu lachen zu mute. Ich legte meinen Füller zur Seite und setzte mich lachend auf mein Bett. "Ich hasse Spanisch, das weißt du Marc.", kam zwischen meinem lachen hindurch. Der Boden knarrte und ich zuckte erschrocken zusammen, aber wieso? Es war doch bloß Marc, der von der Tür zum Schreibtisch hinüber ging und sich auf meinem Schreibtischstuhl nieder fallen ließ. Er schrieb schnell meinen Aufsatz "Damit wir mehr Zeit haben." war seine Begründung. Er mag zwar nicht die hellste Leuchte sein, aber Spanisch das konnte er. Seine Eltern hatten ihn zwei sprachig aufgezogen, jedes Mal wenn ich bei ihm war, musste er mir fast alles übersetzen, denn seine Eltern redeten fast nur Spanisch - sehr zum Leidwesen meinerseits.

Plötzlich waren auf dem Flur wieder diese dumpfen Schritte, wie heute Morgen zu hören. Gänsehaut bildete sich an meinem ganzen Körper, ich glaube man konnte mir meine Panik ansehen, doch Marc saß mir zum Glück mit dem Rücken zugewandt. Die Tür ging auf und ich hielt meinen Atem an, auf einmal hatte ich tierische Angst vor dem, was ich die ganze Zeit mit mir machen ließ. Es war Hannah, die uns Schokoladenpudding brachte. Erneut war Hannah die Person, die meine Angst in Form von Wut abbekam. Ich scheuchte sie aus meinem Zimmer raus, heute konnte ich sie einfach nicht ertragen, warum weiß ich nicht einmal - eigentlich hatten wir immer viel Spaß zusammen. Du bist neidisch auf sie, sagte leise eine Stimme in meinem Kopf. Sie lief traurig aus meinem Zimmer raus, doch als Marc sagte "Mach dir nichts draus Hannah, Lissie hat nur bloß wieder ihre Tage." und dabei lachte, lachte Hannah einfach mit und vergaß direkt wieder was ich zu ihr gesagt hatte.

Auf einmal merkte ich, wie die Matratze runter ging, dieses grauenvolle bekannte Gefühl. Ich fuhr zusammen und bekam erneut Gänsehaut. Marc legte seine Hand an meine Taille und ohne, dass ich es wollte liefen mir Tränen über die Wangen. Er wischte sie weg und zog mich an sich, in seine Arme. Es tat gut mich in Arme zu legen, die mir bekannt waren, die warm waren. Er strich meine schwarzen Haare zurück und fing ein paar meiner Tränen mit seinem Finger auf. Ihm jetzt in die Augen sehen? Nein, das ging einfach nicht. Doch er zwang mich dazu, indem er mein Kinn anhob und mir direkt in die Augen sah. Noch mehr Tränen liefen mir über die Wangen, während er mit einer warmen besorgten Stimme flüsterte "Was ist denn los, Lissie?" Durch das ganze weinen war alles was ich rausbrachte ein gekrächztes "Nichts, nur ein bisschen Stress und so." Aber das glaubte er mir nicht, ich selber glaubte es mir ja nicht einmal. Ich senkte meinen Blick, holte tiefe Luft und auf einmal strömte alles aus mir raus. "Stimmt, Marc. Es ist gelogen. Mir wird das alles einfach zu viel, jeden Sonntagmorgen kommt Steve in mein Zimmer geschlichen und ich.." Ich brach den Satz an der Stelle ab. Marc strich über meine Wange, sah mich an und hauchte vorsichtig "Ich verstehe nicht ganz Lissie." Noch einmal holte ich ganz tief Luft, sonst hätte ich das nicht über meine Lippen gebracht. "Er schleicht in mein Zimmer und ..und ..er fasst mich an, verstehst du Marc!? Nachts, wenn ich aus dem Fenster sehe, wünsche ich mir so sehr, dass mein Vater wirklich in den Sternen sitzt und mich beschützt, aber das tut er nicht. Jeden Sonntagmorgen, um vier Uhr früh, schleicht er in mein Zimmer, kommt in mein Bett und …" Mir wurde spei übel, bei dem Gedanken daran, was immer wieder und wieder passierte. Meine Stimme versagte mit einem Mal vollkommen. Mehr zu sagen war zum Glück nicht nötig, da Marc verstand.

Ich sah ihm seine Wut gegenüber Steve an, doch noch viel mehr sah ich ihm die Angst und Sorge um mich an. "Hast du das deiner Mutter gesagt, Lissie? Wir müssen das jemandem sagen!", sprudelte es aus ihm heraus. "Nein, das kann ich nicht! Mum ist endlich wieder glücklich, das will ich ihr nicht kaputt machen! Bitte versprich mir, dass du niemandem etwas sagst, Marc. Bitte!" Auch wenn er es nicht zugeben würde, sah ich wie Tränen in seine Augen stiegen als er sagte "Okay, Lissie. Ich verspreche dir, dass ich es niemandem sagen werde." Mir fiel ein Stein vom Herzen als er das sagte, ein Kuss zum Dank, das war was er bekam, mehr bekam ich nicht raus. Ich lehnte mich an seine Brust und schloss meine Augen, zum ersten Mal seit langem schlief ich einfach Sorgen los ein, frei von Gedanken, einfach nur so. Vier Stunden vergingen, bis ich wieder aufwachte. Ich öffnete meine Augen, rieb sie und blickte in Marcs wunderschönes Gesicht. Er lag die ganze Zeit in der ich geschlafen hatte neben mir und hielt mich in seinen Armen. "Ich wollte dich nicht alleine lassen, nicht mit diesem Mann.", sagte er mit einem tiefen Blick in meine Augen, bevor er mich küsste. Zum ersten Mal fühlte ich mich in meinem Zimmer sicher und in meiner Haut wohl.
Marc wollte mich nicht alleine lassen, doch Morgen war Schule und was das anging waren seine Eltern streng. Fehlstunden die er hatte, waren meist nur sechs Stück. Ich brachte ihn noch zur Haustür und verabschiedete mich von ihm. "Ciao, Marc." Tönte es hinter mir, es war Steve. Marc sah ihn nur böse an, küsste mich noch einmal und ging dann los. Ich tat es ihm gleich und lief direkt in mein Zimmer.

Ich packte den Aufsatz von Marc in meine Tasche und die übrigen Schulsachen die ich brauchte auch. "Darf ich rein kommen?", fragte Hannah ganz leise. Noch bevor sie etwas sagen oder tun konnte lief ich zu ihr, nahm sie in den Arm und entschuldigte mich dafür, wie ich zu ihr war. "Ach schon vergeben und vergessen, Lissie Sissie." So nannte sie mich immer, anfangs nervte mich der Spitzname, doch langsam war es mir eigentlich egal geworden. "Was treibt dich in mein grünes Chaos?", fragte ich Hannah und setzte sie auf meinem Bett ab. Sie hielt mir eine Bürste und zwei Haargummis hin "Machst du mir noch einmal zwei Zöpfe?" Und ab da fiel mir das Lächeln auf einmal wieder ganz leicht. Ich kämmte Hannah’s lange blonden Haare, die sie von Mum geerbt hatte durch und machte ihr zwei Zöpfe. Wir saßen noch eine ganze Weile auf meinem Bett und lachten und erzählten uns Dinge die uns einfielen, die wir zusammen erlebt hatten oder die wir einfach nur lustig fanden. Es gab Tage, da machten wir das einfach - und es tat verdammt gut so mit ihr zu lachen. Es klopfte an der Tür, Mum kam herein. "Hannah? Möchtest du noch mit zu Grandma? Du sagtest doch, du hast noch etwas für sie gebastelt." Ich war froh, dass Mum mich nicht fragte, ob ich mit möchte, denn ich wollte nun wirklich nicht. Hannah lief strahlend in ihr Zimmer und Mum folgte ihr.
Ich hörte nur noch, wie die schwere Eingangstür von unserem Haus ins Schloss fiel und der Motor unseres Minnie Vans startete.

"Endlich einmal Ruhe.", sagte ich leise vor mich hin, während ich mich in meinen kleinen alten Lese-Sessel, wie Grandpa immer sagte, fallen ließ. Plötzlich vibrierte mein Handy, eine Text-Nachricht, ich drückte auf öffnen und las sie mir durch. Mein Atem stockte, als ich die Zeilen ließ. "Hallo Lissie. Es tut mir leid, dass ich es dir so sage, aber ich kann dich nicht länger anlügen. Seit längerem schon habe ich eine andere …neue Freundin. Ich liebe dich einfach nicht mehr, bitte vergiss mich! Marc." Es war, als würde mein Herz stehen bleiben. Wieso schrieb er mir das jetzt, ausgerechnet jetzt? Heute Nachmittag war er doch noch so nett zu mir, hatte er da schon vor mich zu verlassen, traute sich nur nicht, weil ich ihm all das erzählt habe? Es zerriss mich mit einem Mal in tausend Einzelteile. In Strömen liefen mir Tränen die Wangen hinunter. Niemand war da, der mich in den Arm hätte nehmen können, in wessen Arme hätte ich mich überhaupt getraut?

Die ganze Nacht über lag ich weinend auf meinem Bett, ich bekam nicht einmal mit, als alle wieder nachhause kamen. Es ist als sei ich in Trance, während ich mich für die Schule fertig machte. Auf dem Weg zur Schule kam ich fast einem Auto in die Quere, Mrs. Stink, meine Mathelehrerin. Sie sah mir besorgt nach, als ich durch das große schwarze Tor den kleinen Pfad zur Schule hinaufging.
Von dem Unterricht bekam ich so gut wie gar nichts mit, ich weiß nicht einmal mehr, was ich in der letzten Stunde hatte. Es ist, als würde das Leben im Vorspulenden Modus an mir vorbei laufen und ich bin auf Standbild gesetzt. "Lissie warte doch mal. Was ist denn los mit dir? Hallo, Lissie?", ruft mir Sarah nach, während ich durch den Gang zu meinem Spind schlendere. Erst als sie mich am Arm zurück hält bleibe ich stehen, ihre Rufe habe ich nicht einmal wirklich wahr genommen, ich wusste sie waren da, doch ausführen konnte ich sie nicht einmal. "Oh, hallo Sarah." Sie stellt sich neben mich sieht mich verwundert an und beginnt zu lachen "Wieder mal zu wenig Schlaf gehabt, hm? War Marc etwa letzte Nacht bei ihr.", mit einem Augenzwinkern, das mir sagen soll, das es nur Spaß war, beendet sie ihren Satz, doch das ist eindeutig zu viel für mich. "Du hast doch überhaupt keine Ahnung was du da redest Sarah! Lass mich einfach in Ruhe!", brüllte ich sie an. Ich warf die Tür zu meinem Spind zu und lief raus, einfach raus aus der Schule. Ein besonderes Ziel hatte ich nicht. An der nächsten Parkbank blieb ich stehen und setzte mich erst einmal. Ich war so schnell gelaufen, dass ich einfach nicht mehr konnte. In meiner Tasche vibrierte es, ein Anruf von Sarah, stand auf dem Display. Ich drückte einfach den roten Hörer und öffnete eine leere Text-Nachricht. "Ich verstehe dich einfach nicht, wieso tust du mir das an? Ich liebe dich immer noch, egal was du empfindest ", tippte ich an Marc und dann schaltete ich mein Handy aus. Einfach von allem wollte ich in Ruhe gelassen werden, niemand sollte mich mehr erreichen. Alles was ich wollte war mit meinen Gedanken alleine zu sein. Um mich herum waren alles Menschen, kleine Kinder die spielten, Leute die mit ihren Hunden spielten. -Ich konnte es nicht länger ertragen und lief in ein Waldstück hinein, dort wo Marc und ich uns das erste Mal geküsst haben, als wir rumalberten.

Es war nicht mehr der Selbe Ort, wie damals. Damals war alles viel schöner. Die Bäume lagen nicht auf dem Boden, sie blühten alle wunderschön und wurden vom Sonnenlicht angestrahlt. Stunden lang hätte ich hier sitzen können und einfach nur die Welt beobachten können. Doch jetzt? Jetzt war der halbe Wald kahl, die meisten Bäume lagen kaputt am Boden. Es hatte einfach alles seinen Glanz verloren, genauso wie mein Leben. Ich setzte mich auf einen morschen Baumstamm und legte meine Schultasche neben mich. Es roch nach frischer Luft, das einzig Gute an diesem Stück Wald. Endlich war meine Nase frei von dem Boss Rasierwasser, das Steve immer trug. Auch wenn dieser Ort nicht mehr diese Wärme gab, die er mal ausstrahlte, bot er mir dennoch den Platz zum nachdenken. Zum nachdenken und frei sein. Meine Gedanken kreisten wild umher, kein Gedanke knüpfte an den anderen. Ganze 6 Stunden saß ich hier auf dem Baumstamm, ich bemerkte nicht einmal wie kalt es bereits geworden war, das ich sogar schon mit den Zähnen klapperte. Meine Jacke hatte ich im Spind hängen gelassen, alles was mich warm hielt war ein bunt gestreifter Schal und ein weißes langes Shirt. Wie sehr ich mich nach Marcs warmen starken Armen sehnte, die mich beschützen, für mich da sind. Doch nun waren sie nicht mehr für mich da, sie beschützten ein anderes Mädchen.
Der Gedanke brannte wie Feuer in mir, er zerriss mein Herz in ganz viele Teile. Ich öffnete meine Schultasche und zog meine Federmappe hervor, ich kramte nach meiner alten kleinen türkiesen Schere, die ich seit der Grundschule habe. Ob sie sehr stumpf geworden war, über die Jahre? Ich setzte sie an meinen Arm und zog sie über ihn, es schmerzte. Doch genau das tat gut. Der Schmerz lenkte mich von dem anderen ab. Erneut setzte ich an, erneut schnitt ich über meinen Arm. Blut floss mein Handgelenk entlang. In meiner Hosentasche kramte ich ein altes Taschentuch hervor und tupfte das tropfende Blut ab.

Plötzlich klingelte mein Handy, verwundert nahm ich es aus meiner Tasche. "Der Alarm geht auch los, wenn es ausgeschaltet ist du, Dödel.", meldete sich wieder die leise Stimme in mir. Ich hatte mir einen Wecker gestellt, damit ich es nicht verpasse den Fernseher einzuschalten. "Jetzt, wo du das Handy schon einmal in der Hand hast, kannst du es auch an machen.", drängte mich meine innere Stimme. Sie war schnell erfolgreich, denn ich machte es an. Drei verpasste Anrufe und zwei Nachrichten, alle von Mum. "Sie hat mir auf die Mailbox gesprochen? Seit wann tut sie das denn?" Ich rief meine Mailbox an um zuhören, was passiert sei. "Lissie? Geht es dir gut? Wo bist du nur? Marc macht sich große Sorgen um dich. Er war gerade hier, er sucht dich überall. Lissie? Er hat mir alles erzählt, sei ihm nicht böse, er wollte es nicht tun, aber ich habe nicht locker gelassen. Komm nach Hause, Lissie. Ich habe Steve sofort rausgeworfen, als ich das erfahren habe. Bitte melde dich!" Mir schossen Tränen in die Augen, erst verlässt er mich und dann erzählt er alles Mum? Ich sank zusammen, rutschte von dem Baumstamm nieder auf den kalten, nassen, Blätter bedeckten Lehmboden. Mein Kopf lag auf meinen Knien während ich einfach nur weinte. Weinte, weil ich einfach nicht mehr kann. Soll das Leben sein? Wenn ja, dann möchte ich nicht mehr leben!

Die Schnitte an meinem Arm fingen an zu brennen, ich sah auf meinen Arm und bemerkte, dass er durch den dreckigen Lehmboden auch voller Dreck war. Der ganze Dreck kam in meine Schnitte, es brannte höllisch. Ich hob meinen Kopf ganz um mich umzusehen, es war bereits dunkel geworden, dunkel und immer kälter. Sollte ich nach Hause gehen? Oder sollte ich Mum anrufen? Weder vorne noch hinten, konnte ich sehen. Es war als würden meine Augen durch meine Tränen zugeklebt sein.

Kleine Äste knackten, Blätter wurden von Füßen über den Lehmboden geschoben. Dort war irgendwo jemand. Auf einmal bekam ich tierische Angst, mir wurde bewusst, dass ich alleine im dunklen Wald saß, niemand würde mich hören, wenn ich um Hilfe schreie, niemand würde wissen wo ich bin. Würde ich überhaupt um Hilfe schreien? Ich wusste nicht einmal, ob ich überhaupt gefunden werden wollte. Ich stand auf und sah mich um, soweit ich sehen konnte, die Schritte kamen immer näher und näher. Sie wurden schneller und schneller. Mit jedem Schritt wurden sie leiser und vorsichtiger. Ob jemand wusste, dass ich hier bin? Ich ließ mich wieder auf den Boden sinken und saß zittern da und wartete ab.
Plötzlich sagte eine warme mir bekannte Stimme meinen Namen, in der Stimme lag ein Hauch der Verzweiflung und Angst. Noch einmal sagte die Stimme meinen Namen. Ein leises >>Ja.<< kam wie eine Art Reflex über meine Lippen. Die Schritte orientierten sich in meine Richtung, auf einmal waren sie neben mir. Ich sah auf, mein Blick ging die dünnen muskulösen Beine entlang, hoch bis zu den wuscheligen Haaren. Den Haaren von Marc. "Was willst du hier?", fragte ich ihn ganz leise. Er gab mir keine Antwort, er setzte sich nur neben mich und legte seinen Arm wärmend um meine Schultern und flüsterte "Weißt du noch unser erster Kuss? Du bist über den dünnen Baumstamm dort hinten balanciert und sagtest ich soll dich auffangen, falls du hinfällst. Ich war mir sicher, dass du nicht fallen würdest, weil es aussah, als würdest du mit Leichtigkeit über diesen Baumstamm gehen. Doch dann kipptest du zur Seite weg und ich bekam Angst um dich, deswegen habe ich wohl auch so panisch geguckt, wie du meintest. Ich hatte Angst dir würde etwas passieren. Aber du bist ja weich auf mir gelandet.", er unterbrach kurz und lachte leise sein bezauberndes Lachen. "Als du auf mir lagst, was ging dir da durch den Kopf? Ich habe daran gedacht, wie unglaublich schön dein Lachen doch ist, wieso ich nicht schon vorher erkannt habe, dass ich dich liebe. Das ich dich bloß küssen möchte…", an der Stelle unterbrach ich ihn einfach, bevor mein Gedanke verflogen war. "Ich dachte daran, dass du hoffentlich nicht merkst wie sehr mein Herz schlägt und wie nervös ich doch war. Das du mich küssen würdest und zu gleich, das du nicht merkst, das ich noch nie geküsst hatte." Er sah mich an und kam mir immer näher, bis ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. "Ich habe es nicht gemerkt, Lissie." Mit dem Satz küsste er mich und legte schützend seine Hand auf meinen Arm.

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